Wenn Eltern bei den Hausaufgaben helfen – ein Plädoyer für mehr Selbstständigkeit
Katharina Looks
Sollten Eltern bei den Hausaufgaben helfen? Diskussion auf dem 2. scoyo-Elternabend
Viele Eltern setzen sich jeden Nachmittag mit ihren Kindern an den Tisch und helfen bei den Hausaufgaben. Doch wie sinnvoll ist das eigentlich? Darüber diskutierten unsere Experten auf dem 2. scoyo-Elternabend.
Sollten Eltern bei den Hausaufgaben helfen?
4 Experten diskutierten darüber auf dem 2. scoyo-Elternabend:
Daniel Bialecki (Geschäftsführer von scoyo): Uns hat gerade eine Frage auf Twitter erreicht: Wie kann ich meine Tochter motivieren? Sie ist nur voll dabei, wenn es spannend ist, sonst liest sie Bücher unter der Bank. Ihre Noten liegen zwischen 1 und 2, Hausaufgaben macht sie keine.
Béa Beste (Bildungsunternehmerin):
Ich würde sagen: völlig gelassen bleiben und es als Phase sehen. Ich würde aber mit dem Kind über Respekt reden, darüber, dass der Lehrer ein Mensch ist, der versucht, etwas zu erklären. Zu oft werden Lehrer als Monster angesehen. In diesem Zusammenhang habe ich auch oft das Thema „Sauklaue“ thematisiert: überleg dir mal, ein Lehrer sitzt da, ist abends übermüdet, und jetzt kriegt er noch so eine Sauklaue und muss das noch korrigieren …
Christian Füller (Journalist):
Aber ich kann doch zu meinem Kind nicht nur sagen, es soll ordentlich schreiben. Und wenn es nicht ordentlich schreibt? Z. B. weil Schreiben Lernen einfach nicht mehr die Disziplin ist, die es mal war? Ich habe z. B. mit meinen Söhnen auch keine positive Lernbeziehung. Wenn ich ihnen bei den Hausaufgaben helfe, dann streiken die total. Wie kann man Eltern an dieser Stelle helfen?
Hilft eine gute (Lern-)Beziehung auch beim Thema Hausaufgaben?
Daniel Bialecki: Diese Frage kam auch per E-Mail. Thema (Lern-)Beziehung richtig aufbauen. Entschuldigung, wie soll das denn gehen? Das ist realitätsfern und ein sehr heftiger Anspruch an die Eltern. Ist das nicht die Aufgabe der Lehrer?
Béa Beste:
Ja und nein. Es kommt immer darauf an, ob das Kind jung oder alt ist. Natürlich kriege ich das als Eltern mit einem jüngeren Kind besser hin.
Ich empfehle hier, ganz viel zu spielen, und zwar nur das, was Spaß macht. Spielen in ganz weitem Sinne. Dazu gehört zum Beispiel auch, gemeinsam zu kochen. Dabei baut man eine gute Lernbeziehung auf. Und dann kommen die Themen Lernen und Hausaufgaben. Ich gebe zu, das kann zum Problem werden.
Hier gibt es eine Fülle von Tricks, die man anwenden kann. Aber das Grundproblem ist, dass man nicht locker und heiter genug ist, der Stress fängt an und man hat tausend andere Dinge im Kopf – und dann noch bei den Hausaufgaben helfen …
Schnell hat man ein Knäuel von Stress im Haus und muss schauen, wie man dieses Knäuel wieder auseinanderbekommt: zum Beispiel mit Humor, mit Liebe, mit Gelassenheit.
Woher nehme ich die Zeit, um bei den Hausaufgaben zu unterstützen?
Daniel Bialecki: Wirtschaft und Politik fordern immer mehr, dass Eltern möglichst beide arbeiten, so früh wie möglich, so lang wie möglich. Haben Eltern überhaupt die Zeit, eine solche Lernbeziehung aufzubauen?
Béa Beste:
Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich. Bei Zeit ist die Frage auch nicht, wie viel, sondern, wie gut. Ich habe immer gearbeitet und immer geguckt, dass die Zeit, die ich mit meinen Kindern verbringe, entspannt und voller Humor ist. Und auch das hat wieder mit dem Knäulchen Stress zu tun. Man muss sich einfach fragen: „Muss ich wirklich viel machen, ihnen immer beim Lernen helfen, oder reicht es, das zu finden, was uns Spaß macht?“ Man kann Kinder auch oft sehr gut in Haushaltstätigkeiten einspannen. Es bedarf eines Quantums an Kreativität, diese Zeiträume zu finden, sie auszunutzen, und zwar mit Heiterkeit, so dass möglichst kein Stress aufkommt.
Zusatz von Klaus Wenzel (Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands):
Das Thema Lernbeziehung gehört nicht in den familiären Bereich. Hier müssen es viel eher menschliche, emotionale Beziehungen sein.
Béa Beste:
Ich meine mit Lernbeziehung nicht: Kind wir setzen uns jetzt zusammen hin und machen Hausaufgaben, sondern: Kind, komm, wir finden zusammen was raus, wir sind neugierig.
Christian Füller:
Das habe ich am Anfang auch gemacht. Aber in dem Moment, wo eine Matheaufgabe vor dir steht oder im Geografiekurs die Arabische Halbinsel auswendig gelernt werden muss, kann ich mich nicht mehr hinsetzen und sagen: „Lass uns doch gemeinsam einen Turban aufsetzen.“ Nein, das funktioniert nicht. Er muss wissen, wo Wüste und Meer sind. Es geht dann darum, wie ich in kurzer Zeit etwas vermitteln kann.
Hausaufgaben helfen Kindern, selbstständig zu arbeiten
Nicole Tschirner (Bloggerin): Ich denke, dass der Schlüssel darin liegt, die Kinder ein Stück weit zur Selbstständigkeit zu führen: Dass ich nicht ständig dabei sein muss, kontrolliere und bei den Hausaufgaben helfe. Man sollte dem Kind die Freiheiten lassen. Bei uns funktioniert das recht gut, da ich weiß, dass sie sich wirklich an ihren Tisch setzt und ihre Hausaufgaben macht. Und: Sie macht sie so, dass sie selbst zufrieden ist, und nicht so, dass sie mich zufrieden macht. Und das ist doch das eigentliche Ziel. Wir sollten nicht immer da stehen und Druck ausüben – das ist Gift für jede Beziehung.
Bis zu welchem Alter bei den Hausaufgaben helfen?
Daniel Bialecki: Eine Mutter mit einer Tochter in der 5. Klasse fragt uns gerade per E-Mail, ob es eine Altersgrenze bei der Hausaufgabenbetreuung gibt. Ob die Eltern die Hausaufgaben auch wirklich kontrolliert haben, wird bei ihr per Hausaufgabenplaner kontrolliert. Das müssen die Eltern dann unterschreiben.
Klaus Wenzel:
Ich halte das für sehr problematisch. Hausaufgaben sind ohnehin ein Streitthema unter Pädagogen. Es gibt sehr sinnvolle Hausaufgaben, aber es gibt auch Hausaufgaben, die nichts anderes sind als eine sehr subtile Form der Freiheitsberaubung – für die Kinder und manchmal auch für die Eltern. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder im Laufe der Schulzeit selbstständig werden, dann müssen wir sie auch in diese Selbstständigkeit entlassen. Und dann müssen wir sie auch für sich selbst Verantwortung übernehmen lassen.
Einen Fünftklässler noch zu kontrollieren, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat – da ist irgendwas schiefgelaufen. Ich habe immer dafür plädiert, dass selbst Erstklässler für ihre Hausaufgaben selbst zuständig sind.
Gerade am Anfang sollten Eltern bei den Hausaufgaben eher unterstützen als helfen
Klaus Wenzel:
Wichtig ist, dass wir gerade bei Schulanfängern Hilfen anbieten, damit sie diesen vermeintlichen Wust an Hausaufgaben strukturieren können. Und ich habe das bei unseren Söhnen immer so gemacht, dass ich gefragt habe: „Habt ihr was auf?“ – „Ja eine ganze Menge.“ Und dann habe ich gesagt: Nehmt euch kleine Kärtchen, schreibt das Fach darauf und versucht abzuschätzen, wie viel Zeit ihr für jeden Teil braucht. Dann haben sie angefangen und gesehen, ob die Zeit reicht oder nicht. Beim nächsten Mal konnten sie es dann schon besser abschätzen.
Hausaufgaben sind Aufgaben der Kinder!
Klaus Wenzel:
Das heißt, wenn Hausaufgaben einen Sinn haben, dann u. a. den, dass Kinder schrittweise lernen, ihre Aufgaben als ihre Aufgabe zu empfinden und sich nicht darauf zu verlassen, dass Mama und Papa schon noch einmal drüberschauen und mich dann schon auf Fehler aufmerksam machen. Oder sie erinnern mich daran, dass ich überhaupt die Hausaufgaben machen soll.
Aber auch hier haben wir im Grunde die gleichen Strukturen wie vor 50, 60 Jahren. Es ist wenig überlegt worden, ob Hausaufgaben in einem Zeitalter, wo es auch gehen könnte, dass Kinder sich im Internet Informationen holen, immer noch die gleiche Funktion haben dürfen und müssen.
Wie können sich Eltern gegen die verpflichtende Hausaufgabenkontrolle wehren?
Daniel Bialecki: Nun weiß die Mutter, dass es nicht im Sinne des Erfinders ist, dass Hausaufgaben bis zur 5. Klasse kontrolliert werden. Was würden Sie ihr raten, was sie tun soll?
Klaus Wenzel:
Wenn es meine Tochter wäre, dann würde ich völlig unaufgeregt die Lehrerin anrufen und fragen, ob sie mal eine halbe Stunde Zeit hat. Ich würde sie fragen, was sie damit beabsichtigt. Es könnte ja sein, im günstigsten Fall, dass die Lehrerin sagt, das habe ich mir noch gar nicht so überlegt, dass selbstständig zu werden nicht eine Frage des 18. Lebensjahres ist, sondern dass man das bereits in der 5. Klasse fördern muss.
Ich glaube, viele Missverständnisse könnten geklärt werden, wenn wir den unkomplizierten Dialog zwischen Elternhaus und Schule suchen. Mit „unkompliziert“ meine ich, dass wir nicht nur dann an die Schule appellieren oder uns an die Schule wenden, wenn irgendetwas nicht stimmt, und dass der Lehrer nicht nur dann zuhause anruft, wenn irgendetwas schiefgelaufen ist.
Ich habe einmal als Lehrer eine Mitteilung an Eltern geschrieben, da stand drauf: „Ich freue mich, dass Thomas in den letzten drei Wochen solche Fortschritte macht. Ich freue mich, dass er Ihre Unterstützung bekommt, und ich bin sicher, dass er dieses Schuljahr gut schaffen wird.“ Am Anfang waren die Eltern völlig entsetzt und haben gefragt, was der Thomas denn angestellt hätte. Und ich habe gesagt: „Nichts. Er ist gut dabei.“
Wir müssen auch die Eltern offensichtlich erst daran gewöhnen, dass wir als Schule positive Rückmeldungen an die Schüler geben wollen, dass wir ihnen als Schatzsucher mitteilen, was sie alles können. Ich, als einer, der selbst 23 Jahre lang Lehrer ausgebildet hat, plädiere dafür, dass wir nach dem Positiven suchen, dass wir jungen Menschen mitteilen, was sie schon alles können, und dass wir ihnen dabei helfen, etwaige Schwächen dann auch auszugleichen.
Die Diskussion als Video: Auszug aus dem 2. scoyo-Elternabend
Hier geht´s zum ganzen Video: 2. scoyo-Elternabend – Zwischen Nachhilfe und Förderwahn: Wie Eltern ihre Kinder sinnvoll beim Lernen begleiten
Ihre Meinung: Tweets zum Thema Hausaufgaben
Auch bei Twitter wurde fleißig zum Elternabend gepostet. Eine Auswahl zum Thema Hausaufgaben:
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