Wenn Kinder beurteilt werden – vom Umgang mit Zeugnissen und Noten
Katharina Looks
Eltern sollten ihren Kindern vor allem dabei helfen, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln
Bald gibt es Zeugnisse. Manchen Kindern graust es davor und viele Eltern sind verunsichert, welche Bedeutung die Bewertungen haben und wie sie auf Zeugnisse reagieren sollen. Gastbeitrag von Elterncoach Tonia von Gunten.
Da geht ein Kind tagein, tagaus zur Schule und dann stehen da bloß ein paar Zahlen von eins bis sechs. Und immer wieder frage ich mich, wie gerecht eine solche Bewertung mit Noten denn sein kann. Es kann durchaus ein falsches Bild entstehen, unter dem viele Schüler, Eltern und auch Lehrpersonen leiden.
Zu viel Gewicht auf Noten: Lernberichte statt Zeugnisse
Kinder und Jugendliche müssen sich manchmal mit Sachen befassen, die sie noch gar nicht richtig lernen können. Zu einem Zeitpunkt, wo sie andere Interessen haben oder noch nicht so weit sind. Dem Bewerten des Gelernten wird dabei in den meisten Schulen ein viel zu großer Stellenwert eingeräumt. Viel wichtiger wäre es in erster Linie, vorwärtszukommen und immer wieder persönliche und echte Rückmeldungen über den individuellen Stand der Leistung zu erhalten.
Glück haben Schüler, deren Lehrpersonen echte Lernberichte schreiben. Dort steht, wie andere einen sehen, was man geleistet hat, welche Unterstützung man brauchte, wie man auf eine Lösung kam, was man schon kann und wie man mit den eigenen Schwächen umgeht.
Wie reagiere ich am besten bei schlechten Schulnoten? Tipps für Eltern
Ich empfehle Eltern, ehrlich zu sein: „Ja, da hast du eine schlechte Note gekriegt. Das tut mir leid! So ist das nun mal, da müssen wir durch.“ Vielleicht können Sie etwas von sich erzählen: „Ich war in … immer so schlecht und das fand ich jeweils sehr frustrierend.“ Sie könnten Hilfe anbieten: „Kann ich jetzt etwas für dich tun?“
Trösten Sie das Kind nicht mit seinen anderen Fähigkeiten: „Aber dafür spielst du so gut Fußball!“ Dies hilft dem Kind in diesem Moment nämlich nicht weiter. Auf längere Sicht empfiehlt es sich, zusammen zu schauen, wie es weitergeht. Achten Sie auf die Lernentwicklung, auf Verbesserungen zum Vorjahr. Verdeutlichen Sie Ihrem Kind die eigenen Fortschritte: „Schau mal, das kannst du nun schon viel besser. Da kannst du stolz auf dich sein.“
Jedes Kind möchte erfolgreich sein, auch wenn es den Anschein macht, eine schlechte Note sei dem Kind egal. Kritisieren Sie ihr Kind nicht bei schlechten Noten. Drohen Sie auch nicht mit Konsequenzen. Gratulieren Sie stattdessen, dass es jeden Tag in die Schule geht. Achten Sie darauf, wie realistisch Ihre eigenen Erwartungen sind.
Mehr dazu im 3. Digitalen Elternabend: “Zeugniszeit: So reagieren Eltern richtig!”
Stress raus! Wie Eltern Leistungsdruck reduzieren
scoyo-Tipp: Kinder besitzen viele Eigenschaften, die im Schulzeugnis nicht zur Geltung kommen können, die aber sehr viel Anerkennung verdienen. Für all diese Talente haben wir eine Vorlage für ein etwas anderes Zeugnis entwickelt, mit dem Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes stärken können:
Eltern sollten dabei die Verantwortung übernehmen und Wege suchen, dass der Druck möglichst rasch wieder abnimmt. Denn: Leistungsdruck ist auf Dauer ungesund. Stellen Sie sich folgende Fragen: Muss das Kind tatsächlich so viel leisten? Macht es Lernpausen? Der Wert eines Kindes sollte sich nicht nur über die Leistung definieren. Es ist wichtig, dass sich ein Kind auch einfach so geliebt und wertvoll fühlen darf.
Man verbessert sich in Mathe ja auch nicht unbedingt, indem man mehr Zeit mit Mathematikaufgaben verbringt. Wer jedoch anwesend, interessiert und zum Lernen bereit ist, kommt weiter. Wenn der Kopf und das Herz offen für Neues sind. Wenn ich echtes Feedback bekomme, das mich weiterbringt. Und das tut eine Note eher selten.
Mit der Haltung und dem Druck, dass Defizite nicht sein dürfen, lassen wir die jungen Menschen, für die wir verantwortlich sind, erwachsen werden. Wenn sich ein Kind daran gewöhnt hat, dass zudem ständig andere Personen da sind, die helfen, erklären und Probleme lösen, wird es nie die Verantwortung für sich und sein Lernverhalten übernehmen. Wozu auch? (Mehr dazu im Artikel Helikopter-Eltern und Hausaufgaben)
Wer über Jahre mit dem Gefühl aufwächst, nicht gut genug zu sein, kann kein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln.
Wir sollten anerkennen, was unsere Kinder täglich lernen, statt uns auf die Schwächen zu konzentrieren und mit den Kindern ständig zu trainieren. Welches Ziel wollen wir damit eigentlich erreichen? Soll es unser Kind einmal besser im Leben haben als wir? Denken wir, dass gute Noten heute das A und O sind und nur die Besten der Besten einen Job finden werden? Aber was ist mit den Talenten, mit dem, was ein Kind gut kann? Weiß es das überhaupt und kann es dadurch ein realistisches Bild von sich selbst aufbauen? Wird es in seiner Einmaligkeit wahrgenommen und sieht überhaupt jemand, was es den ganzen Tag leistet? Als ob es so wäre, dass Menschen, die gute Noten haben, es später einfacher im Leben haben und dass sie glücklicher wären! Glück hat doch überhaupt nichts mit guten Noten zu tun! Achten wir doch vermehrt auf Situationen, in denen unsere Kinder lernen, Aha-Momente haben und weiterkommen. Dies können für alle wahre Glücksmomente sein.
„Es ist nicht immer genau das, was wir uns wünschen. Statt die bewertete Schulleistung im Zeugnis zu honorieren, sollten wir Eltern anerkennen, was unsere Kinder tagtäglich lernen.“ Tonia von Gunten
So schaffen Sie zuhause ein gutes Lernklima:
Kinder brauchen …
… erwachsene Personen, die sich für ihre Kinder interessieren und sie in ihrer Persönlichkeit wahrnehmen und begleiten, statt nur die Leistung zu beurteilen. Wer ist mein Kind heute? Worin ist es gut? Wofür interessiert es sich? Wie kann es kreativ sein?
… gute Lernumgebung und Lernzeiten: Unter welchen Umständen wird gelernt? Ist das Kind anwesend und lernbereit? Herrscht Ruhe und kann konzentriert gelernt werden? Wann wird jeweils gelernt? Sie sollten immer ein Auge auf ein realistisches Arbeitspensum haben. Kein Kind kann auf Dauer täglich mehr als 9 Stunden arbeiten.
… regelmäßige Pausen, Auszeiten und Ferien, in denen sie nicht lernen müssen. Freie Momente zur eigenen Verfügung, die nicht verplant sind.
Was Eltern generell tun können:
- Eine gute Beziehung zum Kind pflegen. Dabei aber auch loslassen und sich zurücknehmen: z. B. die Verantwortung über die Hausaufgaben dem Kind übertragen. Eigene Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen.
- Die eigene Gelassenheit, Achtsamkeit und Empathie trainieren. Den Boden unter den Füßen spüren, sich auf die Atmung konzentrieren und das eigene Bewusstsein hin und wieder nach innen wenden, um den Kontakt zu sich herzustellen statt neben sich zu stehen. (Mehr zum Thema: Glücklich sein)
- Ungesunde Signale beim Kind beachten und entsprechend reagieren: Ist es immer leistungsbereit? Hat es Dauerstress? Gibt es Lernpausen? Fehlt ein Interesse an Hobbys, Freunden, Essen, Sport? Hat das Kind Bauchweh, Kopfweh und leidet es unter seiner Situation in der Schule? (Mehr zum Thema: Schulangst und Lernblockaden)
- Gute Rahmenbedingungen/Infrastruktur schaffen: Zugang zu Büchern, Spielen, Lernmedien ermöglichen, fürs Wohlbefinden sorgen (Erholung, Bewegung, Ernährung).
Über die Autorin
© Tonia von Gunten ist Pädagogin und Kauffrau mit Weiterbildungen in Management und Familienberatung. Sie lebt in der Schweiz, ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Sie unterstützt Familien, bloggt auf Facebook, leitet Kurse, Workshops und hält Vorträge. Mit Elternpower bietet Tonia von Gunten als Elterncoach neue Inspiration und Ermutigung für Eltern. Ihr Motto: „Übernehmen wir die Verantwortung in unserer Familie und genießen wir das Leben mit den Kindern.“
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