scoyo im Gespräch mit Prof. Dr. Grunder: Copy-Paste – Diebstahl oder Kavaliersdelikt?

Katharina Looks

Viele Lehrkräfte erlauben – gerade weil sie die Kenntnis von Zusammenhängen überprüfen wollen – die Verwendung eines Spickzettels anlässlich einer Prüfung
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In den Medien scheint in den letzten Monaten eine Plagiatsaffaire die andere abzulösen. Welche Wirkung hat das eigentlich auf Schule und Uni? Wir fragten Prof. Grunder, ein Experte in Sachen Schummeln, Mogeln, Spicken.

scoyo: Herr Prof. Grunder, sie beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit dem Thema Mogeln, Spicken und Schummeln in der Schule aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Hat das Abschreiben in der Schule mit Wikipedia und co eine neue Qualität gewonnen?

Prof. Grunder: Ja, das hat es. Denn die Bewegung ‘copy-paste‘ ist einfacher, als der Aufwand, einen lernpsychologisch wichtigen Spickzettel zu verfassen, bei dessen Herstellung man sich mit dem Gegenstand ja zumindest leidlich vertraut machen muss. Beim Verfassen eines Spickzettels lernt man bereits die Inhalte. Beim Repetieren/ Üben mit dem Spickzettel vor der Prüfung, festigt man sie. Und: Vortragstexte, die die Schule gelegentlich verlangt, sind aus dem Netz schnell zusammengestellt. Dass man sich dabei selber nicht nützt, ist klar: Lernen ist immer noch Arbeit – die kann auch vergnüglich sein, Kopieren/ Einfügen dagegen verleitet zum ‘Nicht-Lernen’. Was dann als selbst erarbeitetes Wissen ausgegeben wird, ist nicht mal mehr ‘angeklebt’, geschweige denn ‘verdaut’.

scoyo: In der heutigen Wissensgesellschaft, spielt das Erinnerung und Abspulen von Daten und Fakten eine immer geringere Rolle. Viel wichtiger ist das Vernetzen bestehender Wissensressourcen und das kreative Adaptieren von Problemlösungsansätzen. Bedarf das Abschreiben von diesem Hintergrund einer Neubewertung? Sollte das Verknüpfen von Inhalten verschiedener Quellen zu einem neuen Ganzen nicht vielmehr als eine Fähigkeit betrachtet werden?

Prof. Grunder: Ja, so macht man es in der Schule ja auch. Es existieren gute Instrumente, um diese Fähigkeit zu einer Kompetenz auszubauen: MindMaps, Projektarbeiten. Prüft die Schule nur Fakten, dann ist Abschreiben eine einfache Fluchtbewegung, abgesehen vom eben genannten Spickzettel, den man als Schüler/in als zum Lernprozess gehörend, beurteilen kann. Viele Lehrkräfte erlauben – gerade weil sie die Kenntnis von Zusammenhängen überprüfen wollen – die Verwendung eines Spickzettels anlässlich einer Prüfung. Abschreiben aber ist nach wie vor unredlich und Schummelei.

scoyo: Mit Blick auf die Geschehnisse in Deutschland: Haben die Plagiatsaffairen von Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin Ihrer Meinung nach einen negativen Vorbildeffekt, der die Bereitschaft, für schulischen Erfolg zu betrügen, noch weiter beflügeln wird?

Prof. Grunder: Nein, das glaube ich nicht. Alle wissen, worum es geht – auch die Schülerinnen und Schüler. Wer sich mit fremden Ideen schmückt, ohne diese zu kennzeichnen, ist ein Dieb. Darum müssen auch Schülerinnen und Schüler lernen, auf die Quellen zu verweisen, denen sie ihre Angaben entnommen haben (Autorennamen bei Texten, Autorenhinweise bei Bildern). Dass man von anderen Gedanken aufnimmt ist jedoch nicht verboten (vorausgesetzt, man nennt den Urheber). Was man dann damit eigenes macht, ist am Schluss wichtig. Den Unterschied zwischen ‘copy-Übernehmen’ und gezielt und ‘unter Namensangabe des Autors Verwenden’ müssen die Kinder beherzigen lernen.

Und außerdem: Es gibt gelegentlich auch eine Idee, die noch niemand gehabt hat…

scoyo: Plagiieren ist ein Vergehen, das im Hochschul- und Schulkontext hart bestraft wird. Was raten Sie Eltern von Kindern, die beim Spicken oder Abschreiben erwischt wurden. Wie können Eltern eine Sensibilität für die Wahrung geistigen Eigentums schaffen?
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Prof. Grunder: Wer beim Spicken erwischt wird, sollte sich mit dem ‘Recht auf geistiges Eigentum’ und mit dem ‘Diebstahl an geistigen Eigentum’ befassen müssen. Das kann auch die Schule tun – etwa im Deutschunterricht, beim Erlernen, wie man Zusammenfassungen von literarischen Texten schreibt, die ja immer einen Autor haben.

Nochmals: Es geht nicht darum, keine fremden Gedanken zu übernehmen, sondern darum, sie – wenn man etwas von jemandem übernimmt – als Gedanken von jemandem kenntlich zu machen, also zu zeigen, wie man das fremde Gedankengut für seine eigenen Überlegungen nutzt. Eltern lassen sich angesichts der Plagiatsaffären sicher für dieses Thema sensibilisieren – und sei es durch die Schule selber, die womöglich eine Plagiatssoftware erwirbt und sie den Eltern vorstellt.

Prof. Dr. Hans-Ulrich Grunder

Experte © Prof. Dr. Hans-Ulrich Grunder Prof. Dr. Hans-Ulrich Grunder ist Leiter des Zentrums Schule als öffentlicher Erziehungsraum (ZSE) an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Aarau (Schweiz). Die am ZSE realisierten Projekte betreffen Bildungsprozesse in der Schule als Lebensraum und Bildungsort sowie Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse von Heranwachsenden in schulischen und ausserschulischen Kontexten.

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.