Das verrückte Labyrinth: eine Mutter im Irrgarten der Entscheidungen
Katharina Looks
Puff! Auf einmal steht die Einschulung bevor … Jetzt sind viele Entscheidungen zu treffen
Ein Kind zu haben heißt, tagtäglich Entscheidungen für jemand anderen zu treffen. Einige davon fallen besonders schwer, da sie das Leben des Knirpses nachhaltig beeinflussen. Wie etwa die Frage, ob er in die Vorschule gehen sollte. Kolumne einer Mutter am Scheideweg.
05.02.2016, Kolumne von Kali Richter
Die Gänge hallen wider vom Getrappel vieler kleiner und ein paar großer Füße, an den Wänden hängen bunte Bilder, es duftet nach frischen Waffeln. Insgeheim hoffe ich, die sind für mich – und die anderen Eltern, die heute mit ihren Viereinhalb-Jährigen in die Hamburger Grundschule kommen müssen, um ihr Kind vorzustellen.
Vor etwas mehr als einem Monat kam der Brief, unangekündigt. “Ihr Kind kommt im Sommer 2017 in die Schule.” Oha. Natürlich war mir das auch schon vorher klar. Aber bis dato war Einschulung für mich ein fernes Ereignis irgendwann in der Zukunft. Doch hier stand es nun, schwarz auf weiß: Das kleine Wesen muss die ersten Schritte gehen, hinein in das System Schule. Schluck.
Ein Satz, den ich nie sagen wollte. Der aber einfach stimmt.
Oma und Opa, die Onkel und Tanten, all die Erwachsenen, die einen als Kind immer an den Schultern griffen, ein Stück von sich wegschoben und erstaunt ausriefen: “Du bist aber groß geworden” … Die habe ich damals oft verständnislos angeschaut – oder brav gelächelt und nur in Gedanken die Stirn gerunzelt. Dass sie aber Recht hatten mit ihrer verrückten Feststellung, das weiß ich erst, seit mein eigenes Baby plötzlich fast 1,20 Meter groß ist.
Der Knirps und ich werden herzlich vom Schulleiter begrüßt, der dem Kurzen einen Kreppklebestreifen mit seinem Namen auf das Hemd klebt. Im Sekretariat geben wir unsere Unterlagen ab, Geburtsurkunde und den ausgefüllte Fragebogen. Den Abschnitt zur Anmeldung für die Vorschule habe ich nicht ausgefüllt. “Bis wann muss ich mir das überlegen?”, frage ich die Mitarbeiterin zaghaft. Sechs Wochen Bedenkzeit bleiben mir noch.
Der Nachwuchs bringt viele kleine und große Fragen mit sich
Ein Kind zu haben, bedeutet sich in ein Labyrinth aus Entscheidungen zu begeben. Sich dort zurechtzufinden ist knifflig, vor allem beim ersten Sprössling. In der Schwangerschaft fängt es schon an: Brauche ich mehr als die Standard-Diagnostik? Wie und wo soll mein Kind auf die Welt kommen? Welche Hebamme soll mich begleiten? Wie soll das Kleine überhaupt heißen? Jede Entscheidung führt in eine bestimmte Richtung und in vielen Fällen ist es dann nicht mehr möglich oder kompliziert, später umzukehren. Heißt das Kind einmal Klaus-Heribert, lässt sich das schwer wieder ändern. Melde ich meinen Sohn in der Vorschule an, verlässt er die Kita und sein Platz dort wird neu vergeben. Kein Weg zurück.
Mein Kleiner betritt zum ersten Mal in seinem Leben ein Klassenzimmer. Die Lehrerin nimmt ihn an die Hand. Die Eltern müssen draußen warten. Ich hocke mich neben zwei andere Mütter. Mein Herz klopft. Es duftet immer noch nach Waffeln. Langsam dämmert mir, dass die nicht für uns bestimmt sind.
Welcher Weg ist für uns der richtige? Die Erkenntnis kommt meist erst unterwegs …
Die Frau neben mir lächelt mich an, wir kommen ins Gespräch. Sie ist genauso aufgeregt wie ich. Die Lehrerin kommt mit meinem Sohn zurück: “Es hat alles gut geklappt. Er hat toll gepuzzelt und kann auch schon gut mit Stift und Schere umgehen. Auch sprachlich konnte ich soweit keine Defizite feststellen.” Mit einem strahlenden Lächeln präsentiert der Knirps mir ein rotes Dreieck, ordentlich ausgemalt und ausgeschnitten. Ich bin ziemlich stolz und ein bisschen erleichtert.
Nach ein paar Wochen und vielen Gesprächen mit Freunden, anderen Eltern und Pädagogen habe ich mich dann entschlossen: Wir biegen jetzt ab in diesem Labyrinth, der Kleine ist bereit für einen neuen Streckenabschnitt. Ich versuche, das Ganze als eine Art Testfahrt zu sehen, ganz langsam, mit vielen Airbags, Knie- und Ellenbogenschützern und Helm. Falls wir gegen eine Wand donnern: auch nicht schlimm. Das ist dann einfach eine Chance, sich neu zu orientieren.
Über die Autorin
Redakteurin Kali Richter studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Sie schreibt nicht nur gerne über sondern auch für Kinder. Das gebürtige Nordlicht hat in Hamburg seine Heimat gefunden, fühlt sich aber in der Welt zu Hause, ihr Rucksack war dabei lange ihr liebster Begleiter. Seit sie 2011 Mutter eines Sohnes wurde, darf es aber auch mal Pauschalurlaub sein.
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