Kolumne “Die Elternflüsterer”: Rettet das Lernen!
Katharina Looks
Lernen ist uncool – diese Einstellung vermittelt auch dieses T-Shirt
Unsere Elternflüsterin ist überzeugt: Lernen ist cool und nicht allein Lehrersache. Béa Beste über das Lernen im Famillienalltag – und warum sie genau das gerettet hat.
Im letzten scoyo-Hangout lag mir das Thema “Lernbeziehung zwischen Eltern und Kindern” sehr am Herzen. Ich dachte, dass ich auch andere dazu inspirieren und beflügeln kann, holte aus, pries Co-Learning und beschwor eine rosarote Stimmung zwischen Kindern und Eltern. Alles tolla! Dachte ich.
Unsere verkorkste Beziehung zum Lernen
Einige Minuten später kam die Frage aus den Zuschauerreihen: “Entschuldigung, wie soll das denn gehen? Das ist realitätsfern und ein sehr heftiger Anspruch an die Eltern. Ist das nicht die Aufgabe der Lehrer?” Daraufhin stellte Klaus Wenzel (Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands) klar, dass eigentlich kein Elternteil Lust auf eine Lernbeziehung hat und dass im familiären Raum eher menschliche, emotionale Beziehungen vorherrschen müssen.
Moment mal, was ist hier der Unterschied?
Hm. Ich kam ins Grübeln. Warum soll Lernen unemotional sein? Heißt das im Gegenzug, dass Lernen in der Schule unemotional sein muss? Was stimmt in diesem Land mit uns nicht, Leute?
Lernen hat mich gerettet
An dieser Stelle möchte ich ein wenig von meiner eigenen Geschichte preisgeben: Ich bin nach Deutschland gekommen, als ich 15 Jahre alt war, das war 1984. In meinem Heimatland Rumänien hatte ich meine beiden Eltern verloren. Meine Geschwister aus der ersten Ehe meines Vaters haben mich aus der damaligen Ceaușescu-Diktatur herausgeholt. Ich konnte kein Wort Deutsch, besaß einzig und allein, was in meinen Koffer gepasst hatte, und kannte nicht einmal meine Halbgeschwister richtig. Denn diese waren bereits kurz nach meiner Geburt nach Deutschland geflohen. Ich musste alles neu lernen: die deutsche Sprache, was meine neue Familie von mir erwartete, wie Lehrer hier ticken und wie man sich im Supermarkt beherrscht, um nicht alles, was man toll findet, zu kaufen.
Genau dieses Lernen hat mich gerettet. Erst drei Jahre später stellte ich fest, dass ich armes Waisenkind schlichtweg vergessen hatte, mir selbst leid zu tun. Und beschloss, dass Lernen deutlich cooler war, als es in meinen Teenager-Kreisen galt. Zudem ließ ich mich mit Studenten ein, und die schienen ihr Lernen schon zu genießen.
Ich will das Lernen retten
Heute, nachdem ich acht Schulen und ein Bildungs-Startup gegründet habe, kämpfe ich noch mit … nein GEGEN diese Zerrissenheit, die ich in diesem Land erlebe. Lernen ist uncool, und mit seinem Kind zu lernen ist eine Bürde. Wer gut in der Schule ist, ist ein Streber – und der Versandhändler Otto verkaufte einmal T-Shirts für Mädchen mit der Aufschrift: „In Mathe bin ich Deko“ (bis ein Shitstorm losbrach).
Eltern haben stets Panik, dass ihre Kinder den nächsten Abschluss nicht schaffen. Und alle schleppen sich durch die Schulzeit, als wäre das ein Triathlon durch Matsch bei Minustemperaturen. Müssen wir es so weit kommen lassen? Ich will das Lernen retten.
Ich bleibe dabei: Lernen ist Beziehungssache
In jungen Jahren ist Lernen Spielen und umgekehrt. Es macht Spaß, und Fehler sind selbstverständlich. Wie oft fällt ein kleines Kind, das Laufen lernt, auf seinen dicken Windelpopo? Die Freude der Eltern an den ersten Worten, Schritten, Sätzen, an jedem “Ich kann das allein, Mama!” ist Treibstoff für weitere Lernerlebnisse. Und die machen Spaß!
Wie kann man das festhalten – und nicht in Helikoptereltern-Terror und Schulangst umkippen lassen?
Meiner Meinung nach geht es mit einer guten Balance aus eigenständigen UND gemeinsamen Erfahrungen
Es ist gut für Kinder, wenn sie sich mal langweilen. Wenn sie nicht ununterbrochen Reizen ausgesetzt sind. Wenn sie nicht nur mit hochwertigstem Letzter-Schrei-Spielzeug versorgt werden. Kinder sind schnell dabei, einem Kochlöffel Augen zu malen, eine Serviette überzuziehen und dem neuen Wesen Zauberkräfte zuzusprechen.
Kinder brauchen aber auch die Momente, in denen sie Mama, Papa, Opa oder Oma erleben, wie sie selbst mit ihnen zusammen einer Sache nachgehen, ob das Plätzchenteig Backen oder eine Ritterburg Aufbauen ist. Das ist die vielzitierte Qualitätszeit. Sie muss nicht viel sein, sie muss gut sein. Und sie darf nicht von Hintergedanken überschattet werden. Kinder sind Instinktwesen. Wenn sie den Eindruck bekommen: “Hey, der liebe Papa quält sich mit Mehl- und Milchabmessungen nur, damit ich in Mathe besser werde”, dann können Sie die verdammten Pfannkuchen gleich in die Mülltonne treten. Die werden weder etwas nutzen noch richtig gut schmecken.
Insofern hatten meine Mitdiskutanten Recht: Kinder brauchen keine Lernbeziehung zu ihren Eltern. Sie brauchen eine Lebensbeziehung, in der das Flow-Gefühl des gemeinsamen Handelns entsteht.
Das IST Lernen. Pur. Unbelastet. Voller Freude.
Eine Kolumne von scoyo-Elternflüsterer Béa Beste
Über Béa Beste
Bildungsunternehmerin Béa Beste ist Bildungsunternehmerin und Mutter einer großen Tochter, die sich schon im Studium befindet. Im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin plädierte Béa Beste als Expertin im Bereich „Wie wollen wir lernen?“ für eine Lernkultur der Potenzialentfaltung und mehr Heiterkeit in der Bildung. Béa gründete 2006 die bilingualen Phorms Schulen. Nach sechs Jahren als CEO ging sie 2011 auf Bildungsexpedition durch Indien, Australien, Indonesien und die USA. Inspiriert von internationalen Bildungsinnovationen entwickelte sie das Playducation Konzept: Was wäre, wenn sich Lernen wie Spielen anfühlt? Leider setzte sich das Produkt, die monatliche Tollabox mit Materialien und Ideen für Familien mit Kindern ab drei Jahren, nicht am Markt durch, sodass Béa derzeit neue Ideen entwickelt, um das Konzept digital umzusetzen. Sie führt den Kreativ-Blog der Tollabox als ‘Tollabea’ weiter.
Webseite: www.tollabea.de
Facebook: facebook.com/tollabea
Twitter: @TOLLABEA | twitter.com/TOLLABEA
Die Kolumne “Die Elternflüsterer”
Im Wechsel flüstern der Journalist Christian Füller und Bildungsunternehmerin Béa Beste den Eltern Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens ins Ohr.
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