Zeugnistag: Take it easy, altes Haus!

Katharina Looks

Zeugnisse sind immer relativ zu betrachten – mit einem alternativen Bewertungssystem fällt es gleich leichter.
© amit69pixabay.com

Was tun, wenn die Zeugnis-Noten nicht so toll sind? Berechnende finanzielle Anreize bieten? Oder die Noten gleich ganz abschaffen und durch Emojis ersetzen? Kolumnist Christian Hanne hat da ein paar Ideen.

Eine Kolumne von Christian Hanne, Blog Familienbetrieb.

In den nächsten Wochen gibt es in ganz Deutschland die Halbjahreszeugnisse. Mein Schwager pflegte als Kind einen sehr entspannten Umgang mit seinem Zeugnis. Er brachte es in der 1. Klasse zerknüllt in der Hosentasche von der Schule mit. Ein Verhalten, das vielleicht nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen sei, aber zumindest sollten Kinder keine Angst haben, mit ihrem Zeugnis nach Hause zu kommen. Auch wenn der Notendurchschnitt darauf hindeutet, dass sie im letzten halben Jahr mehr Zeit mit Snapchat, Netflix und Chillen als mit unregelmäßigen englischen Verben, chemischen Reaktionsgleichungen und dem Satz des Pythagoras verbracht haben. Trotzdem sollte der Zeugnistag nicht zum Tag des Zorns werden. Vielleicht inspirieren Sie die folgenden Gedanken und Tipps, wie Sie mit den Zeugnissen Ihrer Kinder möglichst gelassen umgehen können.

Es müssen nicht immer Noten sein

Die beste Möglichkeit, sich nicht mehr über Noten aufzuregen, besteht darin, sie abzuschaffen. Allerdings wollen Sie auch nicht in jedem Fach seitenweise Bewertungsprosa über die schulischen Leistungen und Verfehlungen Ihres Kindes lesen müssen. (Und Lehrerinnen und Lehrern möchten Sie nicht zumuten, diese schreiben zu müssen.)

Schlagen Sie der Schule Ihres Kindes daher doch ein alternatives Bewertungsschema vor, das nicht auf harten, kalten Zahlen basiert, sondern an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anknüpft. Emojis!

Noten sind so 2017. Die coolen Kids von heute wissen mit einer Emoji-Skala doch viel mehr anzufangen
© WhatsApp

 

Sie müssen zugeben, dass es die Stimmung am Abendbrottisch erheblich auflockert, wenn Ihr Kind auf die Frage „Was hattest du eigentlich in der Französischarbeit?“ fröhlich sagen kann: “Einen Kackhaufen!”

Noten sind relativ

Wenn Sie sich über das vermeintlich schlechte Zeugnis Ihrer Kinder aufregen, denken Sie immer daran: Ein Zeugnis ist letztlich auch nur ein Blatt Papier mit Zahlen. (Unter Umständen recht hohen Zahlen).

Irgendwann hat sich jemand die Notenskala ausgedacht, um die Leistung von Schülerinnen und Schülern zu bewerten. Dabei ist die Bedeutung der Noten vollkommen willkürlich. Während in Deutschland beispielsweise die Eins für eine sehr gute und die Sechs für eine ungenügende Leistung steht, ist es in der Schweiz genau umgekehrt. Dort ist die Sechs die beste und die Eins die schlechteste Note.

Hat Ihr Kind auf dem Zeugnis mehr Fünfen als bei einem Fünfer-Kniffel, mag das in einer deutschen Schule besorgniserregend sein, aber in der Schweiz würde es zu den Klassenbesten zählen. Zugegebenermaßen eine Sichtweise, deren psychologischer Effekt aufbauend wirken mag, Ihrem Kind aber auch nicht weiterhilft, wenn es sich später für ein Medizin- oder Jurastudium bewirbt. Nicht einmal in der Schweiz.

Schlecht ist nicht gleich schlecht und gut ist nicht gleich gut

Seien wir doch ehrlich: Gegen den 10-järigen Physik-Doktorant stinkt doch jedes noch so kluge Kind ziemlich ab
© pan xiaozhenunsplash.com

Aber auch im deutschen Notensystem sind schlechte Noten immer nur relativ schlecht. Eine Vier in Latein kann zum Beispiel ein Grund zu großer Freude sein. Schließlich ist es keine Fünf! Eine, trotz ihrer Schlichtheit, sehr weise Aussage, wie ich finde. Allerdings bin ich da wohl etwas voreingenommen, denn sie stammt ja von mir.

Umgekehrt müssen Sie sich nicht allzu viel darauf einbilden, wenn Ihre Kinder mit einem 1er-Zeugnis nach Hause kommen. Selbst bei einem 1,0-Schnitt. Irgendwo auf der Welt gibt es immer einen 10-jährigen, der gerade seine Promotion in theoretischer Physik mit ‚Summa cum Laude‘ abgeschlossen hat. Dagegen wirkt ihr vermeintlich ach so schlaues Kind dann nur noch wie ein tumber Nullchecker.

Mut zur Lücke

Insbesondere Kinder, die eine weiteführende Schule besuchen, sehen sich täglich mit einer sehr breiten Fächerpalette konfrontiert und müssen sich im 45-Minuten-Takt mit ganz unterschiedlichen Themen beschäftigen. In der einen Stunde werden komplizierte Kurvendiskussionen mittels binomischer Formeln geführt, in der nächsten analysieren sie die Sonette Shakespeares, anschließend müssen sie biochemische Stoffwechselprozesse parat haben und danach geht es im Erdkunde-Unterricht um Vulkanismus und Plattentektonik.

Bei so einem diversen Lernstoff wäre es selbst Leonardo da Vinci einfach unmöglich, in allen Fächern mit hervorragenden Noten zu brillieren. Seien Sie also nachsichtig, wenn Ihr Kind ein paar Dreien oder gar Vieren auf dem Zeugnis hat. Oder arbeiten Sie halbtags als Medizinbiologe am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, haben gleichzeitig eine Teilzeitprofessur in romanischer Philologie, komponieren abends sinfonische Konzerte, die in der Hamburger Elbphilharmonie aufgeführt werden, und gelten darüber hinaus als aussichtsreicher Goldmedaillen-Kandidat im 50 Kilometer-Langlauf bei den anstehenden olympischen Spielen? Nein? Dann müssen Sie es ja auch nicht von Ihrem Kind erwarten.

Lob dem Mittelmaß

Als Durchschnittsbürger mit einem Allerweltsgesicht lässt es sich leicht unerkannt durchs Leben wandern – ein Hoch auf das Mittelmaß!
© Braydon Andersonunsplash.com

Es ist außerdem gar nicht immer erstrebenswert, eine 1er-Schülerin oder ein 1er-Schüler zu sein. Dagegen ist es viel nützlicher, eher durchschnittliche Leistungen abzuliefern. Nach einer geradezu brillanten Grundschulkarriere war ich auf dem Gymnasium ein ziemlich mittelmäßiger Schüler. (Ich war sogar ein solch mittelmäßiger Schüler, dass sich die meisten meiner Lehrer schon kurz nach meinem Abitur nicht mehr daran erinnern konnten, mich jemals unterrichtet zu haben.)

Dies hat heute den unschätzbaren Vorteil, dass ich, wenn ich meine Eltern besuche, vollkommen unbehelligt durch das Städtchen schlendern kann, ohne Gefahr zu laufen, dass mich ein ehemaliger Lehrer oder eine ehemalige Lehrerin erkennt und mir ein Gespräch über alte Schulzeiten, meine berufliche Laufbahn und meine familiäre Situation aufzwängt. Gönnen Sie Ihren Kindern auch diese Freiheit und schicken Sie sie nicht sofort zur Nachhilfe, nur weil es mal eine Vier in Mathematik oder Biologie hat. Dann steigt außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass es Sie später besuchen wird.

Es gibt genügend schlechte Vorbilder

Möglicherweise zählt Ihr Kind aber nicht mehr zum Durchschnitt der Klasse, sondern ist stark versetzungsgefährdet. Das ist jedoch kein Grund in Panik zu verfallen und soziale Ächtung zu befürchten. Schließlich gibt es unzählige prominente Persönlichkeiten, die sehr schlecht in der Schule waren, später aber dennoch erfolgreiche Karrieren hingelegt haben.

Thomas Gottschalk ist beispielsweise einmal sitzen geblieben, genauso wie Otto oder Mehmet Scholl. Sogar Harald Schmidt, Ulrich Wickert und Roger Willemsen hat es mal erwischt und sie mussten ihre Schulzeit unfreiwillig verlängern. Thomas Mann hat gar zwei Ehrenrunden gedreht und nie Abitur gemacht, was augenscheinlich kein Hinderungsgrund war, ihm später den Literaturnobelpreis zu verleihen. Wenn Ihr Kind also eine Klasse wiederholen muss, ist das möglicherweise nicht Ausdruck von mangelnder Intelligenz, sondern ein untrügliches Zeichen für eine unentdeckte Hochbegabung.

Motivieren, aber richtig

Was motiviert heutzutage? Lob? Geld? Begrenzt! Was zieht immer? Ungenierter, ungefilterter und unkontrollierter Medienkonsum!
© Tookapicpexels.com

Vielleicht möchten Sie ihre Kinder durch Belohnungen zu schulischen Bestleistungen anspornen. Wenn Sie Ihre Familie wie einen kapitalistischen Großkonzern führen, der auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, können Sie sich beispielsweise ein finanzielles Anreizsystem ausdenken, bei dem Ihr Kind für Einsen und Zweien mit abgestuften Geldbeträgen belohnt wird. Ein System, dass allerdings seine Schwächen hat. Wenn es funktioniert, ist es äußerst kostspielig, was dann wiederum Ihren Gewinnmaximierungsabsichten entgegenwirkt.

Am humanistischen Bildungsideal orientierte Eltern lehnen Belohnungssysteme für gute Noten entschieden ab. Schließlich sollte man nicht für Geld oder Noten lernen, sondern für das Leben. So ähnlich – zumindest sinngemäß – hat das der römische Philosoph Seneca gesagt und der gilt gemeinhin als kluger Denker. Bei dieser wohlwollenden Einschätzung seiner Person wird allerdings häufig übersehen, dass er unter anderem der Lehrer des römischen Kaisers Nero war. Der ging bekanntlich als Brandstifter Roms in die Annalen ein und war berüchtigt dafür, seine Gegner verfolgen und grausam meucheln zu lassen.

Somit sollte Senecas pädagogisches Talent nicht überbewertet werden und Sie können durchaus überlegen, wie Sie Ihre Kinder durch Belohnungen zu guten Noten motivieren können. Allerdings sollten Sie dabei die richtigen Anreize setzen. Das ist für Kinder heutzutage nämlich weniger Geld, sondern der WLAN-Zugang. Wenn Ihre Kinder notorische Faulpelze sind, kündigen Sie einfach mal an, dass ihre künftige Internet-Nutzung davon abhängt, dass sich ihre Lernbereitschaft erheblich verbessert. Im ersten Moment wird in Ihrem Haushalt zwar eine Stimmung herrschen gegen die Mordor als idyllischer Luftkurort gelten kann, aber schon bald werden die Kinder einen Fleiß an den Tag legen, von dem sich Honigbienen eine Scheibe abschneiden können. Nur damit sie das neue WLAN-Passwort erfahren und sich pausenlos YouTube-Videos reinziehen können, bis auch ihre letzte Gehirnzelle Reißaus genommen hat. Dann können Sie Ihre Kinder auch mit Geld für gute Noten ködern, ohne Gefahr zu laufen, am Zeugnistag nur einen einzigen Euro ausgeben zu müssen.

Das etwas andere Zeugnis

Christian Hannes Kolumne zeigt: Das Zeugnis und Noten sind relativ. Es sind letztlich  abstrakte Zahlen auf einem Blatt Papier, die länderübergreifend nicht einmal eine einheitliche Bedeutung haben! Sicher: Wenn es in der Schule mal nicht läuft, kratzt das am Selbstwertgefühl – sind Noten doch in dem meisten Schulen fast von Beginn an der Maßstab für gut und schlecht. Aber sie bewerten immer nur einen ganz kleinen Ausschnitt zu einem spezifischen Wissen. Kreativität, soziale Fähigkeiten oder Baumkletterskills werden aber nicht bewertet. Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass Kinder neben Noten viele weitere tolle Dinge können und die Zahlen im Zeugnis nicht alles sind!

Aus diesem Grund haben wir das etwas andere Zeugnis entworfen, mit dem Eltern ihren Kindern sagen können, auf was es ihnen eigentlich ankommt.

Dabei können Sie unter anderem diese Fragen beantworten:

  • Was wissen die Lehrer nicht über Ihr Kind?
  • Worauf sind Sie besonders stolz?
  • Wie würden Sie Ihr Kind in wenigen Worten beschreiben?

Machen Sie mit und geben Sie die Aktion #mehralsnoten gerne weiter, denn: Unsere Kinder sind so viel mehr als Noten!

Kolumne von Eltern für Eltern 

Im Wechsel schreiben Blogger und Journalisten über Themen, die Eltern bewegen. Lesen Sie hier Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens. Alle Kolumnen ansehen.

Über den Autor

Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.

Im September ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.

 

Im Netz:

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.