Aufklärung: Was Sie Ihren Kindern schon immer über Sex erzählen wollten, aber bisher nicht zu sagen wagten
Katharina Looks
Let’s talk about sex
Ihr Kind zweifelt langsam an der Plausibilität der Geschichte mit dem Klapperstorch? Keine Panik. Kolumnist Christian Hanne verrät, was es beim Thema Aufklärung zu beachten gilt.
Eine Kolumne von Christian Hanne, Blog Familienbetrieb.
Schon im frühen Kita-Alter interessieren sich Kinder für ihren Körper und die körperlichen Unterschiede von Mama und Papa. Wenn es Ihnen unangenehm ist, mit Ihrem Kind über primäre Geschlechtsorgane zu sprechen, sehen Sie das erste Aufklärungsgespräche einfach positiv als Möglichkeit, ungezwungen mit Menschen in Kontakt zu treten. Kaum hat Ihr Kind die anatomischen Basics gelernt, wird es an der Bushaltestelle fremde Männer fragen: „Sieht dein Penis aus wie der von meinem Papa?“ Das ist eine sehr gelungene Gesprächseröffnung und muss Ihnen nicht peinlich sein. (Zumindest, sofern der Herr nicht antwortet: „Das weiß deine Mama besser als ich.“) Oder wenn Ihr Kind im Supermarkt der Kassiererin mitteilt: „Meine Mama hat einen größeren Busen als du!“, ist das eine gute Gelegenheit, sich mit ihr und anderen Kundinnen über Brustumfänge und -formen auszutauschen. Sicherlich gibt es in der Warteschlange auch den ein oder anderen Mann mit einer Expertenmeinung zum Thema. Und schon haben Sie Ihren Bekanntenkreis erheblich erweitert.
Was es alles bei der Aufklärung von Kindern zu beachten gilt, können Sie in den folgenden sechs Abschnitten nachlesen. (Sie können es sich nicht vorstellen, wie lang es gedauert hat, die Punkte so zusammenfassen, um nicht auf fünf oder sieben, sondern passend zum Thema auf genau sechs Abschnitte zu kommen.)
In diesem Alter interessieren sich Kinder ohnehin meistens mehr dafür, was das Baby im Bauch der Mama so macht. Wenn Ihr Kind erstmal gehört hat, dass sich ein Baby von Mutterkuchen ernährt, möchte es auch jeden Tag Kuchen essen, und schon ist die Frage, wie die Samen- und die Eizelle überhaupt zusammenkommen, vergessen. Somit können Sie die Erklärung, welche Rolle Penis und Vagina bei der Fortpflanzung spielen, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Noch später können Sie über das Thema der künstlichen Befruchtung im Labor sprechen und viel, viel später über die Vor- und Nachteile des Cyber-Sex.
Versuchen Sie, Ihrem Kind eine positive Einstellung zum Thema Sex und Sexualität zu vermitteln. Erklären Sie ihm, dass Sex ein ganz tolles Gefühl macht. So wie Pizza vor dem Fernseher essen. Oder noch passender: Wie Brausepulver aus der Hand lecken.
Sex ist aber viel mehr als der mit Penetration verbundene Geschlechtsverkehr, sondern es gibt hunderte Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung. Brause muss man ja auch nicht zwangsläufig pur als Granulat lecken, sondern kann es auch in Tablettenform konsumieren oder in Wasser auflösen. Sollten Sie mit Ihrem Kind im Teenager-Alter über verschiedene Sex-Praktiken reden, gilt es auch das Thema gegenseitiges Einverständnis anzusprechen. Sexuelle Handlungen sind immer nur okay, wenn alle Beteiligten sich dabei wohl fühlen. Zum Beispiel ist es nicht jedermanns oder jederfraus Sache, sich Brausepulver in andere Körperöffnungen als in den Mund zu schütten und das muss dann akzeptiert werden.
Auch die Selbstbefriedigung ist ein wichtiger Bestandteil der erwachenden Sexualität von Kindern. Früher hieß es noch, dass man vom Masturbieren blind wird. Dafür gibt es aber keine wissenschaftlichen Belege. (Ich beispielsweise hatte schon vor der Pubertät eine sehr dicke Brille.) Haben Sie daher keine Sorge, falls Ihr Kind exzessiv onaniert. Das ist vollkommen normal. So lange es das nicht in der Öffentlichkeit tut. Oder beim Abendbrot.
Während es in der frühen Phase der Aufklärung in erster Linie um die Frage geht, wie Babys entstehen, sollten Sie später Ihrem Kind rechtzeitig erklären, wie Babys nicht entstehen, und mit ihm über die gängigen Verhütungsmittel reden. (Pullover in der Hose, Tennissocken zu Sandalen oder Vokuhila-Frisuren gehören übrigens nicht dazu.) Vielleicht ist Ihnen dieses Gespräch peinlich (Ihrem Kind wahrscheinlich auch), aber es ist immer noch besser, 15 Minuten Verlegenheit zu ertragen, als Deutschlands jüngste Großeltern zu werden.
Allzu sehr ins Detail müssen Sie auch gar nicht gehen, denn im Sexualkundeunterricht der 8. Klasse gibt es vertiefende Informationen, und in getrennten Workshops für Jungs und Mädchen führen Sozialpädagogen anwendungsbezogene Praxisübungen durch. Und das ist auch gut so. Wer möchte schon, dass die eigenen Kinder traumatisiert werden, weil sie am Küchentisch gemeinsam mit den Eltern Kondome über Bananen ziehen mussten.
In meiner Generation, die in den 70ern geboren wurde, konnten wir als aufgeschlossene und vielseitig interessierte Knaben im Fernsehen höchstens mal einen Blick auf einen blanken Busen werfen, wenn in der Werbeunterbrechung von „Ein Colt für alle Fälle“ die fa-Duschgel-Werbung lief. Mit der Einführung des Privatfernsehens erweiterten sich unsere anatomischen Fortbildungsmöglichkeiten und wir konnten heimlich Softpornos wie „Sonne, Sylt und kesse Krabben“ oder „Sunshine Reggae auf Ibizia“ anschauen. Allerdings waren diese Filme nur von sehr begrenzter Erotik, was nicht zuletzt daran lag, dass wir immer Angst haben mussten, dass plötzlich Karl Dall oder Ingrid Steeger auf dem Bildschirm erscheinen.
Heutzutage können unsere Kinder durch das Internet schon frühzeitig mit pornografischem Material in Kontakt kommen, gegen das „Die 120 Tage von Sodom“ wie eine lustige Familienkomödie erscheint. Das fängt vielleicht ganz harmlos damit an, dass sich Ihr Kind auf YouTube einen Clip über „Die heißesten Spielerfrauen der Bundesliga“ anschaut, und kurze Zeit später werden Sie plötzlich gefragt, was ‚Gang Bang‘, ‚Cum-Shot‘ oder ‚Golden Shower‘ sind. (Falls Sie diese Begriffe googeln müssen, sei Ihnen angeraten, dies nicht unbedingt an Ihrem Büro-Rechner zu tun.) Bei jüngeren Kindern lohnt es sich somit sicherlich auf Tablet, Computer und Handy entsprechende Filter zu installieren. Dabei sollten die Passwörter etwas origineller sein als Vorname und Geburtsjahr Ihres Kindes.
Wenn Sie bei Ihrem pubertierenden Kind feststellen, dass es mehr Zeit auf YouPorn als mit dem Erledigen seiner Hausaufgaben verbringt, sollten Sie mal ein Gespräch darüber führen, dass die Darstellungen in Pornos nicht der Realität entsprechen. Weder was die körperliche Fitness der Akteure noch deren Ausdauerfähigkeit oder die Choreographie der meisten dort durchgeführten Sexualpraktiken angeht. Die späteren Sexpartner und -partnerinnen Ihres Kindes werden es Ihnen danken.
Besser früher als später ist es wichtig, mit Ihrem Kind darüber zu sprechen, dass sexuelle Handlungen nicht immer schön sind. Und damit ist nicht ein unbefriedigender One-Night-Stand gemeint, bei dem man nach dem Genuss von acht Gin Tonics morgens neben einem ungewaschenen Typen mit haarigem Rücken aufwacht, der beim Sex die Socken angelassen hat. Nein, es geht um Themen wie sexuelle Belästigung, Pädophilie oder Inzest. Zugegebenermaßen ist es nicht ganz einfach, mit kleinen Kindern über so etwas zu reden. Es reicht dabei nämlich nicht, einfach vor dem fremden Mann mit den Süßigkeiten zu warnen, von dem sich die Kinder tunlichst fernhalten sollen. (Vielleicht handelt es sich dabei ja um den Nikolaus, der die Schokolade verteilt.)
Früher war Aufklärung noch ziemlich einfach beziehungsweise sie wurde sich einfach gemacht. Da gab es nur Mann-Frau, Penis-Scheide, rein-raus und fertig war die Laube. Beziehungsweise die Schwangerschaft. Heute ist das alles etwas komplexer. Da gibt es Heteros, Schwule, Lesben, Intersexuelle und Transmenschen, beim Geschlechtsverkehr werden alle Körperöffnungen mit einbezogen, SM-Praktiken sind im popkulturellen Mainstream angekommen und Schwangerschaften entstehen auch mal in der Petrischale im Labor.
Besser ist es doch, unsere Kinder von Anfang an zu Offenheit und Toleranz zu erziehen. Das bedeutet nicht, dass beispielsweise im Kita-Stuhlkreis erklärt wird, dass es Menschen gibt, die sich sexuell stimulieren, indem sie sich in eine Badewanne voller Mett legen. Bilder von sodomitischen Orgien werden ebenso wenig gezeigt. Aber auch schon jüngere Kinder verstehen, dass Hubert und Klaus sich lieben, Petra und Maja ein Baby haben oder Nina früher Norbert war. Und wenn sie als Kinder kein Verständnis dafür aufbringen, werden sie es als Erwachsene erst recht nicht tun. Das wäre doch schade!
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Einen sehr guten Überblick über Aufklärungsbücher für verschiedene Altersstufen sowie das kostenlose e-Book “Wie sag ich’s meinem Kind: Sex & Porno” finden Sie auf dem lesenswerten Blog “Krachbumm” der Sexualpädagogin Katja Grach.
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Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September 2016 ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.
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