Bildung 4.0: Warum Lehrer an ihrer aktuellen Aufgabe nur scheitern können
Katharina Looks
Wie wird die Schule wieder ein Ort des begeisterten Lernens?
Gerne wird Lehrern die Schuld an dem Zustand unseres Bildungssystems zugewiesen. scoyo-CEO Daniel Bialecki sieht die Verantwortung woanders. In seiner Kolumne schlägt er Wege vor, die die Schule wieder zu einem Ort des Lernens machen.
Was ist eigentlich los an Deutschlands Schulen? Wer sich aktuell mit der Situation befasst, bekommt das Gefühl, dass nichts so richtig läuft: Sinkende Bildungsstandards, sich häufende Unterrichtsausfälle, fehlende Digitalkonzepte oder Mobbing sind an der Tagesordnung. Schule gleicht eher einem Chaos als einer Institution, in die Eltern ihre Kinder guten Gewissens schicken können. Die Schuldigen für diese Misere sind in den meisten Debatten sehr schnell ausgemacht – die Lehrer. Denn sie scheitern ja offensichtlich an ihrer Aufgabe, für unsere Kinder ein positives Umfeld zu schaffen, in dem ihnen wichtiges Wissen und essenzielle (soziale) Kompetenzen vermittelt werden. Diese verbreitete Argumentation kann und will ich nicht mehr hören. Sie ist falsch, gefährlich und verhindert eine wirklich nachhaltige Lösung der miserablen Situation.
Schule verändert sich
Fakt ist: Die zunehmende Komplexität in Kultur und Gesellschaft durch Themen wie Digitalisierung und Migration macht auch vor der Schule nicht halt. Schule wird immer mehr zum Schmelztiegel der Gesellschaft. Das vor allem deshalb, weil die soziale Mobilität in Deutschland, aller Bemühungen zum Trotz, weiterhin erschreckend gering ist. Die Schere zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Schichten führt dazu, dass Kinder schon beim Eintritt in die Schule ganz unterschiedliche Ausgangslagen haben: Auf der einen Seite stehen Kinder, die teilweise bilingual erzogen wurden und die schon die Grundrechenarten beherrschen, auf der anderen Kinder, die noch nie ein Buch in der Hand hatten. Das Resultat sind immer heterogener werdende Klassengefüge in allen Altersstufen. Da sind Probleme und sinkende Wissensstandards vorprogrammiert. Aber versagen an dieser Stelle wirklich die Lehrer, oder eine ganz andere Instanz?
Aufgaben für Lehrer weiten sich aus
Offensichtlich wird, dass Schule längst nicht mehr nur faktisches Wissen vermittelt, sondern auch der Ort für die Sozialisierung der Kinder ist – sein muss angesichts der oben skizzierten Gefüge. Dadurch stehen Lehrer plötzlich vollkommen neuen Aufgaben gegenüber: Sie sind gefragt als Ansprechpartner und Mediator zwischen Kindern, um soziale Konflikte, die auf dem Schulhof ausgetragen werden, zu schlichten. Manchmal muss im Unterricht bei grundlegendem Verhalten angesetzt werden, wenn Kinder zuhause nicht lernen, nicht ständig dazwischen zu reden oder bei jedem Schritt an die Hand genommen werden müssen. Lehrer scheitern regelmäßig an diesen Anforderungen. Aber sind sie wirklich einfach zu faul, an ihrem Unterrichtskonzept zu arbeiten, wie es manch böse Zunge am Stammtisch gerne behauptet? So einfach ist es nicht. Ja, es gibt auch im Lehrerberuf Menschen, die dort grundlegend falsch sind. Das gibt es in jedem Unternehmen, in jeder Branche. Aber auch die Lehrer, die höchst engagiert sind, können kaum anders, als viele der heute eigentlich notwendigen Aufgaben zu vernachlässigen. Denn es fehlt ihnen schlicht an Zeit und Ressourcen. Das können wir nicht hinnehmen, wenn wir langfristig eine starke, soziale Gesellschaft wollen.
Die Institution Schule muss mehr sein als das, was sie heute ist
Schule als Institution muss in dieser Situation mehr in den Fokus rücken. Man muss ihr in der Gesellschaft ein deutlich stärkeres Gewicht geben, denn nur sie kann der Aufgabe langfristig gerecht werden, eine starke, soziale Gesellschaft zu bilden. Nicht nur, dass Lehrer schon vor einer Herkulesaufgabe stehen und mit der oben skizzierten heterogenen Klassenzusammensetzungen jonglieren müssen. Themen wie Inklusion und die daraus folgende zunehmende Bedeutung der Sozialpädagogik verschärfen die ohnehin komplexe Situation nochmals deutlich und erhöhen wiederum die Anforderungen an Lehrer. Darauf ist aber weder die Lehrerausbildung noch der Lehrplan ausgelegt. Vielmehr muss Schule als zentrale Instanz und Lösung für unsere gesellschaftlichen Herausforderungen wahrgenommen werden. Damit das aber passieren und die Schule dieser Aufgabe gerecht werden kann, müssen viel mehr Ressourcen aufgewendet werden. Lehrer alleine können das nicht schaffen. Erst recht nicht in Anbetracht des zunehmenden Lehrermangels.
Staat und Gesellschaft müssen Schule und Lehrer massiv unterstützen
Langfristig brauchen Lehrer deshalb einen Ansprech-, oder besser Sparringspartner, an den sie Kinder verweisen können, die in der Schule oder zuhause Probleme haben. Es braucht weitere Fachkräfte wie Psychologen oder Sozialarbeiter, die Lehrer unterstützen. Ihre Anwesenheit an Schulen muss ausgeweitet werden, um Lehrer zu entlasten. Vor allem staatliche Träger müssen hier Verantwortung übernehmen. Lehrer blieben in einem solchen Konstrukt weiterhin federführend, jedoch würde die Last auf mehrere, speziell dafür ausgebildete Schultern aufgeteilt werden. Und auch die Gesellschaft ist gefragt, sie muss mehr für Lehrer und Kinder einstehen. Nur ein System, das Schule und ihr gesamtes Personal wertschätzt und ihre Probleme ernst nimmt, kann gut ausgebildete und zufriedene Kinder hervorbringen.
Besser etwas tun als gar nichts tun
Nun bringen die oben erwähnten Vorschläge kurzfristig keine Besserung. Denn es ist ja nicht realistisch, wenn wir sagen, jede Schule braucht ab sofort zwei Psychologen und fünf Sozialarbeiter. Allein die Ausbildung dieser Fachkräfte dauert mehrere Jahre. Es braucht daher ebenso konkrete Maßnahmen, die unmittelbar greifen. Ein Anfang wäre zum Beispiel, an Zwischen-Segmente, wie Coaches, zu denken. Mithilfe einer Kurzausbildung von ein bis zwei Jahren kann kurzfristig eine Verbesserung erreicht werden, die langfristig durch strukturelle Förderprogramme von Psychologen und Sozialarbeitern unterstützt wird. Das mag vielleicht nicht die Ideallösung sein, aber es ist immerhin ein Anfang, ein erster Schritt. Und den braucht es. Sehr schnell.
Technologie kann helfen, aber nicht retten
Digitale Tools, die in den Alltag der Lehrer integriert werden, sind hingegen keine Heilsbringer. Sie können eine Hilfestellung sein, um Lehrer beim Unterrichten zu entlasten, ja. Sie können aber auf keinen Fall – weder kurz- noch langfristig – ein persönliches und empathisches Gespräch ersetzen. Das wäre auch vollkommen falsch. Digitalisierung entfaltet vor allem dann ihre Stärke, wenn Prozesse automatisiert oder vereinheitlicht werden können. Die individuelle Betreuung unserer Kinder mit all ihren Sorgen, Problemen und Ängsten darf nicht vereinheitlicht werden. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass wir uns individuell um die Kinder kümmern müssen. Denn sonst kann das wahrscheinlich ein Algorithmus bald tatsächlich besser und vor allem schneller. Und das wäre der Anfang von Ende.
Fazit: Schule als Ort des Lernens
Das Thema Bildung ist nicht nur auf Deutsch, Mathe oder Naturwissenschaften begrenzt, sondern betrifft auch viele soziale Aspekte, die eine zunehmende gesellschaftliche Relevanz haben. Schule sollte ein Ort des Lernens sein. In jedweder Form. Damit Schule dieser Aufgabe gerecht werden kann, müssen wir vom Staat konsequent und umfangreich Ressourcen einfordern. Wir müssen unseren Kindern schnellstmöglich eine bessere Perspektive bieten. Wir müssen Vorbild sein und ihre Probleme endlich ernst nehmen. Und damit einhergehend unbedingt auch die der Lehrer.
Über den Autor
scoyo-Geschäftsführer und Familienvater Daniel Bialecki Daniel Bialecki ist seit 20 Jahren im Bereich der digitalen Wissensvermittlung tätig und beschäftigt sich seitdem damit, wie richtig gute Bildung im digitalen Zeitalter aussehen kann. Seit über 10 Jahren konzentriert sich der Dreifach-Vater speziell auf erfolgreiche Lernprozesse von Kindern im Zusammenspiel mit deren Eltern und Lehrern. Gemeinsam mit Pädagogen und renommierten Geschichtenentwicklern baute er von 2007 bis 2009 die virtuelle Lernumgebung von scoyo mit auf. Seit 2014 ist er scoyo-Geschäftsführer.
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