Elternsprechtag – der hässliche kleine Bruder des Elternabends
Louisa Eberhard
Der Elternsprechtag steht vor der Tür
Welche Eltern (und Lehrer) kennen es nicht? Die Elternsprechtage stehen vor der Tür und das Unbehagen steigt mit jedem Tag. Christian Hanne gibt beiden Parteien Tipps, welche Sprüche man sich dann doch besser verkneifen könnte.
In den nächsten Wochen steht er wieder an allen Schulen an: Der Elternsprechtag. Eigentlich eine sinnvolle Einrichtung, damit Lehrerinnen* und Eltern die etwaigen schulischen Probleme der Kinder besprechen können. (*In der Kolumne wird aus Gründen der Schreibökonomie ausschließlich die weibliche Form benutzt, alle anderen Geschlechter werden aber selbstverständlich immer mitgedacht.) In der Realität ist das aber weniger erquicklich, denn die Gespräche finden im Akkord statt wie beim Speed-Dating, nur bedauerlicherweise ohne alkoholische Getränke. Eltern müssen sich im Zehn-Minuten-Takt anhören, was ihr Kind für eine missratene, lernunwillige Brut ist, Lehrerinnen wird dagegen in jedem Gespräch mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass sie für pädagogische Tieffliegerinnen gehalten werden.
Als Service zur Vorbereitung auf den bevorstehenden Elternsprechtag habe ich Ihnen die nervigsten Eltern- und Lehrerinnensprüche zusammengestellt. Prägen Sie sich diese Sätze gut ein und verwenden Sie sie gefälligst nicht. Dann wird das Ganze vielleicht doch nicht so schlimm.
(Bei den Sprüchen handelt es sich um eine nicht-repräsentative Auswahl einer nicht-repräsentativen Umfrage unter meinen Mitleserinnen bei Facebook und Twitter. Herzlichen Dank für den zahlreichen Input!)
„Wie sieht’s mit der Empfehlung fürs Gymnasium aus?“
Selbstverständlich ist das ein durchaus berechtigtes Thema für den Elternsprechtag. Aber nur sofern Ihr Kind – je nach Bundesland – in die vierte oder sechste Klasse geht. In der 1. oder 2. Klasse bekommen Lehrerinnen bei dieser Frage dagegen einen leichten bis mittelschweren juckenden Hautausschlag. (Genauso übrigens zu diesem Zeitpunkt bei Fragen nach möglichen Leistungskursen oder nach einer Einschätzung, ob das Kind das Potenzial für ein betriebswirtschaftliches Studium an einer internationalen Elite-Universität hat.)
Bleiben Sie als Eltern entspannt. In diesem jungen Alter wird bei Ihrem Kind noch nicht die Weiche auf Hochschulreife, Jurastudium und renommierter Wirtschaftsanwältin oder auf Dosenbier, Wohnzimmer-Fliesentisch und RTLII-Dauerglotzerin gestellt. Das passiert erst, wenn das Kind in der Oberstufe zu viele Drogen konsumiert. Ohnehin sollten Sie nicht so auf eine gymnasiale Schullaufbahn fixiert sein. Mit Abitur wird es für Ihr Kind wesentlich schwieriger, eine Karriere als erfolgreiche Gangsta-Rapperin zu machen.
„Ich wollte Sie nur mal kennenlernen.“
Dieser Satz ist auf mehreren Ebenen äußerst befremdlich. Was stimmt mit Ihnen nicht, dass Sie andere Menschen persönlich kennenlernen möchten? Das Smartphone und die diversen Social-Media-Plattformen wurden schließlich nicht erfunden, damit wir direkten Kontakt im echten Leben pflegen. Wenn Sie unbedingt die Lehrerin Ihres Kindes kennenlernen wollen, suchen Sie halt nach ihrem Facebook- und Instagram-Profil. Haben Sie erstmal die geschmacklosen Club-Med-Urlaubsfotos oder die ästhetisch fragwürdige Wohnzimmereinrichtung der Lehrerin gesehen, vergeht Ihnen schon die Lust, sie persönlich zu treffen.
Außerdem sollten Sie den Lehrerinnen nicht wertvolle Zeit stehlen, die sie für Eltern benötigt, deren Kinder wirklich schulische Probleme haben. Nehmen Sie sich also kein Beispiel an meiner Mutter, die einmal zum Elternsprechtag ging, um sich meinen neuen Physiklehrer, einfach mal „anzuschauen“. Dabei war ich doch ein derart mittelmäßiger Schüler, dass es überhaupt keinen Redebedarf gab. Okay, ganz so sinnlos war das Gespräch dann doch nicht, denn es stellte sich dabei heraus, dass ich in ein paar Hausaufgabenüberprüfungen Fünfen geschrieben hatte, bei denen ich es nicht für nötig gehalten hatte, meine Eltern davon in Kenntnis zu setzen. Eine derart unangenehme Unterhaltung, wie ich sie anschließend mit meiner Mutter führen musste, wollen Sie Ihrem Kind sicherlich ersparen. Gehen Sie also niemals unaufgefordert zum Elternsprechtag. Ihr Kind wird es Ihnen danken.
„Mein Kind hat lauter Fünfen geschrieben? Bestimmt ist es unterfordert.“
Sicherlich gibt es tatsächlich hochbegabte Schülerinnen, die vom normalen Schulstoff gelangweilt sind und deswegen schlechte Noten schreiben. So oft wie Lehrerinnen diesen Satz hören, müssten aber rund 50 Prozent aller Schülerinnen potenzielle Einsteins sein, die sich in ihrer Freizeit mit Quantenphysik beschäftigen und das Lernen unregelmäßiger französischer Verben als unter ihrer Würde erachten. Statistisch ist das eher unwahrscheinlich.
Das soll umgekehrt aber nicht heißen, dass jede Schülerin, die eine Fünf schreibt, dumm wie Brot ist und zu doof, ihren Namen zu klatschen. Ich kann beispielsweise aus eigener Erfahrung berichten – und meine Eltern werden dies bestätigen –, dass ich mir jede meiner Fünfen, die ich in Hausaufgabenüberprüfungen, Tests und Klassenarbeiten geschrieben habe, redlich verdient habe. Durch Faulheit, Nichtstun und allgemeine Antriebslosigkeit.
Bevor Sie der Lehrerin also irgendetwas von Hochbegabung erzählen, treten Sie lieber Ihrem Kind in den Hintern – selbstverständlich nur im übertragenen Sinn –, damit es sich mal von Konsole, Handy und Tablet löst und stattdessen für die Schule lernt. Dann reicht es in der nächsten Arbeit bestimmt für eine Vier minus.
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Zuhause ist mein Kind ganz anders.“
Diesen Satz gibt es auch in einigen anderen Varianten, wie zum Beispiel „Zuhause liest mein Kind ganz flüssig.“, „Zuhause rechnet mein Kind ganz zügig.“ oder „Zuhause streitet mein Kind nie.“, um nur einige zu nennen. Allen Aussagen ist gemein, dass sich das Kind zuhause angeblich vollkommen anders benimmt und sich die Lehrerin folglich bei ihrer Einschätzung irren muss. Bekämen Lehrerinnen jedes Mal einen Euro, wenn beim Elternsprechtag einer dieser Sätze fällt, ließen sie Jeff Bezos in der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt locker hinter sich.
Das Problem dieser „Zuhause ist mein Kind ganz brav/fleißig/friedfertig.“-Aussagen? Sie sind ungefähr so glaubwürdig wie:
- „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ (Walter Ulbricht vor der Errichtung der Berliner Mauer, nicht der mexikanischen)
- „Die Renten sind sicher.“ (Nobert Blüm, der schon vorher kurze Beine hatte)
- „Das kann jedem mal passieren.“ (Sie, im Bett über die Erektionsprobleme Ihres Partners)
- „Ich bin mausgerutscht.“ (Die, deren Namen ich nicht nennen möchte, wenn sie wieder geistigen Dünnpfiff ins Internet geschrieben hat)
- Jeder Tweet von Donald Trump.
Damit Sie also in Sachen Glaubwürdigkeit nicht auf einer Stufe mit dem US-amerikanischen „Liar, liar, pants on fire“-Präsidenten stehen, sollten Sie „Aber zuhause“-Sätze beim Elternsprechtag tunlichst vermeiden.
„Das mit dem Gymnasium wird nichts.“
Ein in vielen Fällen sicherlich durchaus berechtigter Satz, denn nicht jede Schülerin ist für das Gymnasium geeignet. Aber als Lehrerin sollten Sie bedenken, dass viele Eltern sich bei diesem Satz fühlen wie eine GNTM-Kandidatin, der Heidi Klum gerade mitgeteilt hat: „Ich habe kein Foto für dich.“ In beiden Fällen zerstören ein paar Worte Träume, Wünsche und Lebensentwürfe.
Eltern interpretieren diesen Satz nämlich nicht als hilfreiche Information, dass sie ihrem Kind kein Gefallen tun, wenn sie es aufs Gymnasium schicken, sondern hören: „Ihr Kind wird ein Leben lang von Hartz 4 leben.“ Oder noch schlimmer: „Ihr Kind wird Ihnen ein Leben lang auf der Tasche liegen.“ Daher sollten Sie Eltern schonend beibringen, wenn Sie der Meinung sind, das Kind ist auf dem Gymnasium nicht gut aufgehoben.
Ohnehin sollten Sie sich in diesem Zusammenhang vor absoluten Aussagen hüten („Eher wird Boris Becker schuldenfrei, als dass Ihr Kind Abitur macht“), denn immer wieder kommt es vor, dass Schülerinnen, denen die gymnasiale Eignung abgesprochen wurde, dann als Jahrgangsbeste die Schule abschließen und schon stehen Sie als pädagogischer Vollpfosten da. Und für die werden Lehrerinnen ja ohnehin gehalten, da wollen Sie dieser vorherrschenden Meinung doch nicht durch unbedachte Bemerkungen Vorschub leisten.
„Ihr Kind stand zwischen Zwei und Drei. Um es zu motivieren, habe ich ihm die schlechtere Note gegeben.“
Wahrscheinlich müssen Lehrerinnen nach dem Zweiten Staatsexamen einen Eid schwören, dass sie unter gar keinen Umständen einer Schülerin die bessere Zensur geben dürfen, sollte sie zwischen zwei Noten stehen. Dieses Phänomen kenne ich noch aus meiner eigenen Schulzeit. Immer wenn ich zwischen zwei Noten stand, habe ich nie, aber wirklich nie, nie, niemals die bessere bekommen. Und immer wurde das damit begründet, dass ich mich dann im nächsten Halbjahr mehr anstrengen würde und dafür die bessere Note bekäme. Ein Fall, der nie, aber wirklich nie, nie, niemals eingetreten ist.
Versuche Sie vielleicht mal ein Experiment, liebe Lehrerinnen. Geben Sie in strittigen Fällen einfach mal die bessere Note. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Schülerinnen darauf nicht ausruhen und nie wieder Hausaufgaben machen werden. Viel wahrscheinlicher werden sie auch am Schuljahresende wieder zwischen zwei Noten stehen. Und dann können Sie immer noch die schlechtere Zensur verteilen.
„Ihr Kind ist zu still.“
Dieser Satz leitet meistens die Begründung ein, warum das Kind keine bessere Note bekommen hat. „Wenn Ihr Kind nichts sagt, weiß ich gar nicht, ob es den Stoff nicht versteht, kein Interesse hat oder einfach nur geistig abwesend ist.“ Herrgott nochmal, wenn es sich um eine pubertierende Zehntklässlerin handelt, sind wahrscheinlich alle drei Vermutungen zutreffend. Dann können Sie sich als Eltern wenigstens darüber freuen, dass Ihr Kind vollkommen normal entwickelt ist.
Ohnehin habe ich diese Aussage „Das Kind ist zu still.“ nie wirklich verstanden. Was soll denn diese Abwertung zu still? Es heißt doch nicht umsonst „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“ Und die Tremeloes haben schließlich „Silence is golden“ gesungen und nicht etwa „Silence is unbearably awkward“. Es gibt ohnehin schon viel zu viele Menschen, die tagtäglich Unmengen an Unsinn in die Welt hinausposaunen, da sollten wir doch für jedes schweigsame Kind dankbar sein. Und das könnte ruhig mal mit einer guten Note belohnt werden. Meine Tochter würde sich freuen.
„Wie heißt Ihr Kind nochmal? Ich hab‘ da gerade gar kein Bild vor Augen.“
Ich habe für so eine Aussage selbst allergrößtes Verständnis, denn ich habe tagtäglich mit Leuten zu tun, bei denen mir partout nicht einfallen will, woher ich sie kenne. Ist es eine ehemalige Kollegin oder eine Klassenkameradin von früher oder eine alte Studienkollegin? Dass mir dann auch noch der Name dieser Personen einfällt, ist vollkommen ausgeschlossen. Es gibt sieben Milliarden Menschen auf der Erde und Millionen von Namen. Wenn Sie gut in Mathe sind, können Sie ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, einem Menschen den richtigen Namen zuzuordnen. Eher gewinnen Sie den 150-Millionen-Dollar-Jackpot bei einer amerikanischen Superlotterie.
Trotzdem macht es keinen guten Eindruck, wenn Sie freimütig zugegeben, nicht den blassesten Schimmer zu haben, wer von den verhaltensauffälligen Blagen aus der Klasse zu den vor Ihnen sitzenden Eltern gehört. Vor allem wenn Sie dem Kind ein paar Minuten später kategorisch die Fähigkeit absprechen, jemals die Hochschulreife zu erlangen. In so einer Situation bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ein paar belanglose Nettigkeiten von sich zu geben. („Ihr Kind macht sich richtig gut in letzter Zeit.“, „Wirklich aufgeweckt, Ihr Kind.“, „Um Ihr Kind müssen Sie sich keine Sorgen machen.“)
Damit nicht auffällt, dass Sie nicht wissen, über wen Sie eigentlich reden, dürfen Sie allerdings nie eine schlechtere Note als eine Zwei minus verteilen. Ansonsten könnte es zu unangenehmen Rückfragen der Eltern kommen.
Ausschließlich gute Noten zu verteilen, ist ohnehin empfehlenswert, denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern gar nicht erst zur Sprechstunde erscheinen. Und das ist noch besser als der 150-Millionen-Dollar-Jackpot einer amerikanischen Superlotterie!
Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Am 17. Oktober ist sein neues Buch „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ im Seitenstraßen Verlag erschienen.
Im Netz
Blog: www.familienbetrieb.info
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