Sport ist Mord, Kindersport ist Doppelmord
Johannes Braun
Kindersport – lieber erstmal einen Helm aufsetzen.
Sport kann einen wichtigen, gesunden Beitrag zum Wohlbefinden leisten – für die Kinder. Warum Eltern sich das nochmal gut überlegen sollten, besonders im Hinblick auf das eigene Nervenkostüm, erklärt Christian Hanne.
Bewegung und körperliche Aktivität bei Kindern sind so positiv beleumundet wie allenfalls noch der regelmäßige Verzehr von vitaminspendendem Obst und Gemüse. Sport gilt als gut für die allgemeine körperliche Konstitution und die Motorik sowie als Schutzschild gegen Übergewicht und damit einhergehende Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck.
Tatsächlich hat Sport etwas sehr Befreiendes: Er hilft Stress abzubauen und sorgt für den Ausstoß von Glückshormonen. Was hat allerdings nichts Befreiendes, baut Stress auf und verhindert den Ausstoß von Glückshormonen? Genau, Kindersport. Das sollte Ihnen spätestens beim Kleinkindturnen klar geworden sein, wenn Sie mit einer Horde überdrehter Gören – das schließt das eigene Kind selbstverständlich mit ein – und deren nicht minder nervigen Eltern durch einen Parcours aus Turnmatten, Bänken und Kästen gelaufen sind und zum krönenden Abschluss auch noch gemeinsam „Alle Leut, alle Leut gehen jetzt nach Haus“ singen mussten.
Dem britischen Premierminister Winston Churchill wird fälschlicherweise das Zitat „No sports!“ zugeschrieben. Das hat der fünffache Vater aber so nie gesagt. Seine tatsächlichen Worte waren „No kindersports!“
Also, halten Sie es mit Winston und überlegen Sie es sich sehr gut, bevor Sie Ihr Kind im Sportverein anmelden. Am besten überlegen Sie fünf Mal, denn so viele Gründe liefere ich Ihnen, es besser sein zu lassen.
Laut landläufiger Meinung hilft Sport Kindern dabei, ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln. Durch einen gehaltenen Elfmeter, den Sieg beim 50-Meter-Lauf oder das siegbringende Tor beim Handball-Spiel der F-Jugend. Erfolgserlebnisse, von denen Ihre Kinder ein Leben lang zehren können. Ich bin da ein gutes Beispiel. 1985 habe ich im Alter von knapp zehn Jahren bei meinem ersten Judoturnier den 1. Platz bei den Kreismeisterschaften der Altersklasse U11 in der Gewichtsklasse bis 32 Kilo belegt. Anschließend beendete ich meine Karriere als Judoka – schließlich soll man aufhören, wenn es am Schönsten ist –, und bin somit bis heute ungeschlagener Westerwälder Judo-Kreismeister. Eine historische Leistung die mich auch fast 35 Jahre später mit breiter Brust bei gleichzeitig größtmöglicher Bescheidenheit durchs Leben laufen lässt. Dass ich damals nur einen einzigen Gegner hatte und mein Sieg darauf zurückzuführen ist, dass er über seine eigenen Füße gestolpert ist, muss ja niemand wissen.
Aber nicht bei allen Kindern muss das so gut laufen wie bei mir. Stattdessen besteht die Gefahr, dass Ihr Kind durch zu viele sportliche Erfolge ein ungesundes Selbstbewusstsein entwickelt und sich zu einem überheblichen, arroganten und egozentrischen Narzissten entwickelt. Möglicherweise dachten ja die Eltern von Ibrahimovic, „Mensch, der kleine Zlatan hat so viele Minderwertigkeitskomplexe, lass‘ ihn mal beim Fußball anmelden.“, und 20 Jahre später sagt er dann Sachen wie „Ich selbst bin mein eigenes Idol.“ oder „Eine WM ohne mich ist nicht sehenswert.“ Sätze, denen auch nach mehrmaligem Lesen nicht ansatzweise etwas Bescheidenes oder Sympathisches zu entnehmen sind.
Wollen Sie von Ihrem Kind solche Sätze hören? Nein? Dann halten Sie es besser vom Sport fern.
Die Hoffnung, dass Sport gut für das kindliche Selbstbewusstsein ist, hat aber noch eine andere große Schwachstelle. Es ist nicht auszuschließen, dass Ihr Kind vollkommen unsportlich ist. Es lässt den schlecht geschossenen Elfmeter durch die Beine rutschen, es wird Letzter im 50-Meter-Lauf und setzt den entscheidenden Wurf neben das Handball-Tor. Das wars dann mit den Selbstvertrauen gebenden Erfolgserlebnissen.
Es liegt in der Natur des sportlichen Wettkampfs, dass es nur einen Sieger geben kann. Schon der Zweitplatzierte ist der erste Verlierer. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit diesem olympischen „Dabeisein ist alles“-Nostalgie-Quatsch. Fragen Sie mal den Westerwälder Judo-Vizekreismeister der U11 in der Gewichtsklasse bis 32 Kilo von 1985, der gegen einen Typen verloren hat, dessen einziger Vorteil darin bestand, dass er geradeaus laufen konnte, ohne sich hinzulegen. Der war bestimmt nicht froh, dass er dabei war.
Selbst wenn Ihr Kind keine totale sportliche Niete ist, wird es wahrscheinlich mehr schmachvolle Niederlagen als glanzvolle Siege erleben. Oder es wird das süße Gefühl des sportlichen Triumphes gar nicht kennenlernen. Auch hier bin ich ein ganz hervorragendes Beispiel. Nach Beendigung meiner Judo-Karriere habe ich mehrere Jahre Tennis gespielt (Ich möchte gerne Boris Becker grüßen.), und obwohl ich immer sehr fleißig trainierte, lag meine erschütternde Bilanz bei Einzelturnieren bei sechs Niederlagen und keinem einzigen Sieg. Meine Erfolgsquote war noch schlechter als die der Färöer-Inseln bei Fußball-Qualifikationsspielen. Die haben wenigstens einmal gegen Österreich gewonnen. Ich dagegen war der Eddie, the Eagle, des Tennis-Courts. (Zwar ohne Schnurrbart, aber mit einer ebenso hässlichen Brille.)
Falls Sie Ihrem Kind eine solch demütigende Erfahrung ersparen möchten, melden Sie es besser niemals im Sportverein an. Oder suchen Sie wenigstens eine Sportart aus, für die es etwas mehr Talent besitzt als ich fürs Tennisspielen. (Und kaufen Sie ihm bitte keine hässliche Brille.)
Trotz meiner Ausführungen zur zu erwartenden Erfolgslosigkeit Ihres Nachwuchses hegen Sie möglicherweise dennoch die Hoffnung, Ihr Kind könne ein sportliches Supertalent sein und es als Sportler-Ass zum Multimillionär bringen. Aus tiefer Dankbarkeit, dass Sie es immer zum Training gefahren und auf Wettkämpfe begleitet haben, schiebt es Sie dann später nicht in ein heruntergekommenes Siechenheim ab, sondern lässt Ihnen bis ins hohe Alter die bestmögliche Pflege und medizinische Betreuung zukommen. Vorzugsweise in einem exklusiven Seniorenstift an der Côte d’Azur. So die Theorie.
Ganz auszuschließen ist das ja auch nicht. Bei den Eltern von Roger Federer (Gesamtgewinn bisher: 600 Millionen US-Dollar), Tiger Woods (1,6 Milliarden US-Dollar) oder Michael Jordan (1,7 Milliarden US-Dollar) hat es ja funktioniert. Wobei ich keine gesicherten Informationen darüber habe, dass sie alle in einem exklusiven Seniorenstift an der Côte d’Azur leben.
Sehr viel wahrscheinlicher – und ich möchte Sie hier wirklich nicht desillusionieren – wird aber eine Mischung aus mangelndem Talent, fehlendem Ehrgeiz und nicht vorhandenem Fleiß verhindern, dass Ihrem Kind eine Karriere als internationaler Sportstar vergönnt sein wird. Der sportliche Erfolg Ihres Kindes sollte also besser kein zentraler Baustein Ihrer Altersvorsorge sein. Kaufen Sie lieber für 50.000 Euro venezolanische Staatsanleihen. Da haben Sie wesentlich höhere Renditechancen!
Wenn es ganz dumm läuft, wird Ihr Kind doch ein Top-Sportler, aber in der falschen Sportart. Sie kommen dem Seniorenstift an der Côte d’Azur nämlich keinen Schritt näher, wenn Ihr Kind Olympiasiegerin im Tontaubenschießen, der erfolgreichste Rhönradturner aller Zeiten oder Kapitänin der deutschen Lacrosse-Mannschaft wird. Allessamt exotische Orchideensportarten, die Null Einnahmen durch Preisgelder oder Werbeverträge versprechen, aber hohe Ausgaben für Ausrüstung, Wettkampfgeräte und Reisen garantieren. Da gibt es dann keine Fanpost, sondern einen Brief Ihrer Bank mit dem Angebot für einen zinsgünstigen Privatkredit, mit dem Sie Ihr hoffnungslos überzogenes Konto geradeso wieder unter die Dispogrenze drücken können.
Sport hat aber nicht nur fragwürdige Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung Ihres Kindes und ist keine erfolgsversprechende Investmentstrategie, sondern erfordert auch noch hohen zeitlichen Aufwand von Ihnen als Eltern. Sie müssen niedere Chauffeurdienste leisten, um das Kind zum Training zu bringen, wahrscheinlich sogar mehrmals die Woche, und am Wochenende ist besonders viel Einsatz gefordert. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber Wettkämpfe oder Ligaspiele finden weder zur Mittagsstunde noch in Ihrer direkten Nachbarschaft mit praktischer Verkehrsanbindung statt, so dass Sie am Samstag und Sonntag gemütlich ausschlafen können. Nein, das beginnt alles zu frühen unchristlichen Zeiten und es ist eher die Regel denn die Ausnahme, dass Sie samstags oder sonntags den Wecker auf 6 Uhr stellen müssen. Manchmal auch früher und manchmal auch an beiden Tagen.
Gut, Sie können sich das jetzt „Carpe diem!“-mäßig schönreden, dass Sie dann ja viel mehr von Ihrem Wochenende haben als die faulen, nichtsnutzigen Langschläfer. Dazu müssen Sie dann aber schon masochistisch veranlagt sein oder regelmäßig am Textmarker lutschen. Sportwettkämpfe werden nämlich prinzipiell in gottverlassenen und nur schwer zu erreichenden Nestern in der fernen Provinz veranstaltet. Somit carpen Sie Ihren wochenendlichen diem, indem Sie Kilometer über Kilometer auf unausgebauten Straßen mit Schlaglöchern von der Größe Luxemburgs fahren, um dann stundenlang in einer muffigen Sporthalle zu verbringen, deren letzte notdürftige Modernisierung in den 1970er Jahren durchgeführt wurde und deren Toiletten den Geruch von Urin, Sportlerschweiß und Jauchegrube vereinen.
Dies ertragen Sie nur, wenn Sie phantasieren, wie Ihr Kind gegen jede Wahrscheinlichkeit doch zum NBA -Superstar aufsteigt und Ihnen einen auskömmlichen Lebensabend an der Côte d’Azur ermöglicht. Oder indem Sie weiter am Textmarker lutschen.
Das stärkste Argument gegen Kindersport ist aber der Kontakt zu anderen Eltern. (Der Kontakt zu anderen Eltern ist für gewöhnlich das stärkste Argument gegen alles, aber das nur am Rande.) Nachdem Sie Ihr Kind im Sportverein angemeldet haben, werden Sie permanent von anderen Eltern umgeben sein. Beim Training, auf Turnieren und bei Wettkämpfen. Mein Sohn macht seit gut sieben Jahren Judo – seine Erfolgsquote reicht nicht ganz an meine heran, aber es ist doch schön, dass er in die übergroßen Erfolgs-Fußstapfen seines Vaters getreten ist – und somit kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass Sporteltern in der überwiegenden Mehrheit eher anstrengende Zeitgenossen sind.
Unabhängig vom Talent ihrer Kinder sind Sporteltern davon überzeugt, dass ihre Tochter die wahre Nachfolgerin von Steffi Graf ist oder ihr Sohn auf jeden Fall in die Fußstapfen von Dirk Nowitzki treten wird. Bleibt der sportliche Erfolg aus, was nur die Eltern aber sonst niemanden überrascht, wird einem in epischer Breite erklärt, dies liege einzig und alleine an den widrigen Wetterbedingungen, den unfairen Gegnern und insbesondere an den inkompetenten Schiedsrichtern. (An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich mich möglicherweise auch schon einmal habe sagen hören „Da hat der Junge aber wirklich Pech mit dem Kampfrichter gehabt. Und gegen den Typen im Finale hat er schon oft gewonnen.“)
Wenn Sie einen Hang zur Realitätsverweigerung haben – oder hochgradig Textmarker-süchtig sind –, schaffen Sie es vielleicht, Unterhaltungen mit anderen Sporteltern nicht als Zumutung und Diebstahl Ihrer Lebenszeit zu empfinden, sondern betrachten sie als Lerngeschenk, das Ihre Frustrationstoleranz fördert und Ihnen ermöglicht, über sich hinauszuwachsen. Ich habe mir beispielsweise bei solchen Gesprächen noch nie die Ohren abgerissen, meinem Gegenüber niemals eine leichte Backpfeife gegeben und mich auch nie wimmernd in Embryonalstellung auf den Boden gelegt. Einmal war ich kurz davor, mir einen stumpfen Löffel in den Oberschenkel zu bohren, aber auch diesem Impuls konnte ich erfolgreich widerstehen. Darauf bin ich zwar ein bisschen stolz, aber um ehrlich zu sein, waren diese Unterhaltungen rückblickend trotzdem eine Zumutung und ein Diebstahl meiner Lebenszeit.
Möglicherweise – und hoffentlich – haben Sie meine Argumente aber doch nicht überzeugt und Sie möchten Ihr Kind sofort im Sportverein anmelden. Sollten Sie unschlüssig sein, welche Sportart die richtige für Ihr Kind sein könnte, empfehle ich Ihnen die Seite Tinongo. Dort finden Sie Informationen zu dutzenden von Sportarten. Von vielen werden Sie noch nie gehört haben, wie zum Beispiel von Brennball, Twirling oder Korfball. (Nein, das ist kein Tippfehler.) Diese Sportarten helfen Ihnen zwar nicht bei der Verwirklichung Ihrer Côte d’Azur-Pläne, aber irgendwie ist es doch cool zu prahlen: „Mein Kind ist übrigens letztes Wochenende Korfball-Weltmeister geworden!“
Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Am 13. März ist sein neues Buch „Hilfe, ich werde Papa. Überlebenstipps für werdende Väter“ bei arsEdition erschienen.
Im Netz
Blog: www.familienbetrieb.info
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