ADHS: Lernen und Hausaufgaben führen zu Streit? Tipps für Eltern
Katharina Looks
Ob ADHS oder null Bock – kommt es regelmäßig zu Streit beim Lernen, hilft vor allem: Druck raus!
Die Tochter unserer Leserin möchte am liebsten nichts für die Schule tun. Geht es an die Hausaufgaben oder ans Lernen, wird sie wütend. Lehrer tippen auf ADHS. Doch ob es nun das ist oder fehlende Motivation: Wie kann unsere Leserin die Situation zu Hause entschärfen?
Elternfrage:
Hallo zusammen, meine Tochter (9 Jahre, 3. Klasse) trödelt bei den Hausaufgaben, bleibt nicht bei der Sache und lenkt sich ab, so dass sie stundenlang nicht fertig wird (vor allem in Mathe). Wenn ich mich zusammen mit ihr hinsetze und sie macht einen Fehler oder kapiert was nicht, kriegt sie einen Schreianfall und lässt sich unter den Tisch rutschen.
Die Lehrerin sagt, sie würde leistungsmäßig in letzter Zeit abrutschen und das obwohl ich mit ihr zusätzlich scoyo mache und ihr manchmal selbst noch ein Arbeitsblatt mit Rechenaufgaben vorsetze (meist als Vorbereitung auf eine Klassenarbeit).
Die Lehrerin spricht von einer “ruhigen ADHS-Form”. Wir lassen sie momentan kinderpsychologisch daraufhin testen. Aber die Sache mit den Schreianfällen und die unter den Tisch Rutscherei hat damit wohl nichts zu tun. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen.
Haben Sie einen Rat, wie ich mich in so einer Situation verhalten kann bzw. wie ich sie da wieder “in den Griff” kriegen kann?
Vorab danke und viele Grüße, Sabrina M.
Unsere Experten antworten:
Falko Stolp, Schulleiter: Druck rausnehmen, spielerisch lernen
© Die Sache mit den Schreianfällen und dem unter den Tisch rutschen hat wohl doch etwas mit der „ruhigen ADHS-Form“ zu tun. Egal wie der kinderpsychologische Test ausfällt, nehmen Sie bitte den „Druck vom Kessel“. Sprechen Sie mit den Lehrern bzgl. der Hausaufgaben. Kinder in diesem Alter sollten eigentlich nicht länger als 30 Minuten Hausaufgaben machen. Von zusätzlichen Übungseinheiten würde ich abraten. Ihr Kind hat scoyo! Das ist Zusatz genug.
Nutzen Sie lieber geschickt Freizeitaktivitäten u. ä., um ganz „nebenbei“ zu lernen. Kombinieren Sie das mit Bewegung und Spiel. (Tipps: Lernen mit Gesellschaftsspielen, Erleben und lernen, Kreative Lernmethoden für Schüler) Sollte vielleicht in Ihrem Hinterkopf schon die Frage der Schulwahl nach der 4. Klasse herumgeistern. Weg damit!
Susanne Egert, Psychologin: 6 Tipps, die jedem Kind gut tun
© Was die Lehrerin vermutlich mit der ‘ruhigen ADHS-Form’ meint, ist ADS. Ich finde es zunächst einmal gut, dass Sie fachgerecht abklären lassen, ob Ihre Tochter wirklich ADS hat (so heißt nämlich die Abkürzung für ‘Aufmerksamkeits-Defizit-Störung’). Im Gegensatz zu ADHS fehlt hier die Hyperaktivität. Deshalb wird die Störung auch oft nicht erkannt: ein Kind, dass sich wegträumt und aus dem Fenster schaut, stört seine Umgebung nicht so sehr wie ein unruhiges Kind, das ständig durch die Klasse läuft, mit dem Stuhl wackelt und nonstop redet.
Sollte sich die Vermutung bestätigen, ist es wichtig, dass Sie und Ihr Kind so viel Information bekommen, dass Sie zum Experten für die Störung werden.
Bis Sie Klarheit haben, können Sie aber schon einiges tun, das nicht nur Kindern mit AD/HS gut tut, sondern allen:
- Klarheit und Struktur im Alltag: Dazu gehört ein aufgeräumter, leerer Schreibtisch mit nur den wichtigsten Materialien und wenigen Reizen, die ablenken, wie eine bunte Schreibunterlage. Um den Arbeitsplatz herum sollten nicht die Wände mit Postern zugepflastert werden. Geschlossene Schränke sind von Vorteil, damit der Blick des Kindes nicht durch Bastelmaterial, Spielzeug und was auch immer sich in dem Schrank befindet, abgelenkt wird. Alles braucht einen festen Platz. Das hilft dem Kind, seine Sachen wieder zu finden. →Mehr: “Hier lern ich gern!” – den perfekten Lernplatz einrichten
- Zeit einteilen: Wenn das Kind mit den Hausaufgaben beginnt, lassen Sie es schätzen, wie lange es für das erste Fach brauchen wird. Stellen Sie ihm eine gut lesbare Uhr oder eine Eieruhr hin, auf der es sehen kann, wann die geschätzte Zeit um ist. Stellen Sie Ihrem Kind eine Belohnung in Aussicht, wenn es in diesem Zeitraum die Hausaufgaben für das erste Fach schafft, z. B. eine Tasse Schokolade und s. Punkt 3.
- Belohnungen: Loben Sie das Kind, wenn es anfängt Hausaufgaben zu machen und wenn es den ersten Teil fertig hat. Zur Belohnung darf Ihr Kind dann 10 Minuten Schaukeln, Trampolin springen oder auf einem Bürostuhl ganz schnell gedreht werden. Das empfinden die meisten Kinder als angenehm und es steigert gleichzeitig die Aufmerksamkeit und wirkt seelisch ausgleichend (Lesen Sie dazu bitte meinen Artikel über den Umgang mit Wutanfällen.). Danach geht’s in derselben Weise weiter mit dem nächsten Fach. Auch vor den Hausaufgaben sollte Ihr Kind das schon tun. Loben Sie Ihr Kind viel!!!
- Die richtige Reihenfolge: Wenn Ihr Kind schnell ermüdet, sollte es mit dem für es schwierigeren Fach beginnen, braucht es erst eine Zeit zum ‘Warmwerden’ sollte es mit dem einfachsten anfangen.
- Den Schreianfall zunächst ignorieren: Hinter dem Schreianfall steckt ziemlich sicher Angst zu versagen, etwas falsch zu machen oder nicht zu können. (Lesen Sie dazu bitte meinen Artikel zum ‘Aufbau von Selbstbewusstsein’ und meinen Rat zu einer anderen Elternfrage.) Fehler sind gut, weil wir daraus lernen können! Beachten Sie den Schreianfall nicht, reden Sie nicht dauernd auf Ihr Kind ein, erwähnen Sie lieber, was das Kind machen darf, wenn die Hausaufgaben fertig sind. Und wie viel Spaß das machen wird. (Freunde treffen, mit ihnen mitspielen …) Sobald das Kind ruhig ist, wenden Sie sich ihm wieder zu und loben, was es schon geschafft hat.
- Emotionen auf den Grund gehen: Es ist allerdings durchaus möglich, dass die Ablenkbarkeit Ihres Kindes emotionale Gründe hat z.B. Sorgen, Liebeskummer, Ängste. Das sieht von außen betrachtet oft ganz ähnlich aus wie ADS, war dann aber nicht ‘schon immer so’, sondern erst seit kurzem. Dann sollten Sie mit Ihrem Kind ins Gespräch gehen, um herauszufinden, was es beschäftigt und dann entsprechende Veränderungen vornehmen. Mehr: Angst in die Schule zu gehen – was tun?
Béa Beste, Bildungsunternehmerin: Machen Sie sich zur Verbündeten!
© Diagnosen überlasse ich den ADHS-Experten, das bin ich nicht. Was Sie hier beschreiben klingt eher nach Frühpubertät – vor allem das Schreien und unter dem Tisch rutschen. Da kenne ich mich aus.
Hier stecken zwei Aspekte dahinter:
1. Eltern sind die lausigsten Nachhilfelehrer für ihre Kinder. Punkt. Das ist Teil des Generationenvertrags: „Die größten Emotionen werden entstehen, wenn Eltern und ihre Kinder versuchen, schulische Leistungen auf die Reihe zu bekommen.” Das Kind empfindet das als Gängelung, die Eltern müssen sich in Dinge eindecken, die sie einmal für “wegdelegiert” eingestuft haben. Da ist mehr Kommunikation nötig, als möglich ist.
2. Kinder wissen, was Eltern am meisten nervt. Ihre Tochter weiß aus langjähriger Erfahrung, wie sie Sie in kürzester Zeit zur Weißglut treiben kann und tut es: Schreien. Warum? Ganz einfach: Weil die Hausaufgaben langweilig sind. Weil sie nicht weiß, warum sie diese uninteressante Arbeit machen muss. Weil alles andere spannender ist. Sie auf die Spitze zu treiben ist spannend! Abteilung “Jugend Forscht” lässt grüßen – wenn auch unterbewusst.
Was tun? Enthärten Sie zunächst die Fronten, machen Sie sich zur Verbündeten: Versuchen sie erst einmal sich mit ihrer Tochter zu einigen, dass Hausaufgaben echt doof sind. Lassen sie auch das “aber” weg. Also nicht: „…aber wichtig für Leben… verankert das Gelernte… bla!” Solche Äußerungen helfen bei einer 9-Jährigen so gut wie Erdogan zu sagen, er solle mehr Humor haben.
So halten wir fest: “Hausaufgaben sind doof.” Aber: Was ist die Alternative? Lassen Sie ruhig das Kind das Szenario entwickeln, was passiert, wenn sie nicht gemacht sind. Die Kleine ist nicht doof – sie wird sich schnell zusammenreimen, dass es doch unangenehm wird in der Klasse. Und dann geht es darum, zu entwickeln, wie man sie mit dem niedrigsten Aufwand in der kürzesten Zeit bewältigt.
Ziel ist: Möglichst viel Zeit für spannendere Dinge zu haben, die Sie zusammen mit ihr schön veranschaulichen können: Spielen, ins Kino gehen, Teig machen und diesen roh aufessen … Also, einigen Sie sich darauf, dass es nur darum geht, faul und klug zu sein und die Hausaufgaben einfach hinter sich zu bringen. Weil das Leben spannender ist. (Hierüber habe ich übrigens schon gebloggt: Hausaufgaben neu denken – „sei faul und klug“)
Denn – ADHS oder nicht – den Kindern hilft es am meisten, wenn sie merken, dass sie humorvolle Verbündete auf ihrer Seite haben, und keine gegnerischen Spaßbremsen.
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