Emotionale Entwicklung bei Kindern fördern: Vom Wirrwarr der Gefühle

Katharina Looks

Gefühle haben eine große Macht. Wer sie einzuordnen weiß, lebt leichter.
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Langeweile, Wut, Schmerz, Freude … Unsere Emotionen leiten uns durch das Leben, bestimmen unser Denken und Handeln. Wer gut mit ihnen umgeht, lebt glücklicher. Doch das müssen Kinder erst lernen. Wie Eltern die emotionale Entwicklung fördern können.

Von Susanne Egert.

In diesem Artikel

„Sind wir bald daaaa?” Diesen Satz kennen alle Eltern. Er kommt gewöhnlich vom Rücksitz des Autos, so etwa 15 Minuten nach Beginn der Fahrt. Er wird in beliebigen, mit zunehmender Dauer der Fahrt meist kürzer werdenden Abständen wiederholt. So lange, bis das Ziel erreicht ist. Eltern sind davon in der Regel (verständlicherweise) genervt und teilen dies der Quelle des Ärgers ebenso deutlich wie erfolglos mit: „Du nervst!” oder auch „Hör auf zu nerven!” 

Gefühle sind der Schlüssel zum Kind

Wenn wir herausfinden möchten, was hier passiert und – mindestens ebenso interessant – wie wir daran etwas ändern können, müssen wir uns fragen, wie die Situation aus der Sicht des Kindes aussieht. Genauer gesagt, wie das Kind sich gerade fühlt. Denn Gefühle sind der Grund, warum Menschen etwas tun oder lassen.

Im oben beschriebenen Beispiel scheint der Fall klar zu sein: „Dem Kind ist langweilig!” Und ja, Sie haben Recht, dem Kind ist langweilig. Ergänzend kann man aber auch festhalten: das Kind will nicht etwa die Eltern ärgern oder nerven. Wir haben es nicht mit Vorsatz oder Boshaftigkeit zu tun, sondern mit einem Gefühl des Kindes, das für es selbst unangenehm ist und das es oft noch nicht richtig einordnen kann.

So versucht es, dieses unangenehme Gefühl, das ihm je nach Alter mehr oder weniger bewusst ist, abzustellen – indem es eben fragt „Wann sind wir bald da?“. Das klappt auch für einen Moment, denn immerhin gibt es ein kurzes ‘Gespräch’ mit Mama oder Papa, das die Langeweile jedoch nur für einen winzigen Augenblick unterbricht.

Wie es weitergeht, haben wir eingangs gesehen. Ergebnis: Eltern und Kinder sind mit den Nerven am Ende, die Stimmung ist unter Null und beide ‘Parteien’ fragen sich, ob es die jeweils andere Seite auch in nett und pflegeleicht gibt … Aber es geht auch anders und für beide Seiten angenehmer, dazu noch entwicklungsfördernd für das Kind: 

So können Eltern emotionale Entwicklung fördern:

Gefühle der Kinder spiegeln 

Teilen Sie dem Kind einfach mal mit, welches Gefühl Sie bei ihm bemerken, was Sie glauben oder erspüren, wie es sich gerade fühlt. Also in unserem Beispiel: „Du langweilst Dich.” aber vielleicht auch: „Du bist schon ganz aufgeregt, freust Dich ganz doll.” oder auch “Du machst Dir Sorgen, dass…” , „Du befürchtest, dass …”.

Das klingt erst mal ungewohnt, hilft aber dem Kind, die eigenen Gefühle zu sortieren und zu verarbeiten. Schließlich kommen die Kinder nicht mit dem Wissen auf die Welt, was es alles für Gefühle gibt und wie die sich anfühlen.

Das ist übrigens auch der Grund, warum kleine Kinder oft “Bauchschmerzen” haben, egal wo es wehtut und wie sie sich im Detail fühlen. Sie müssen erst lernen, dass das Grummeln im Bauch Aufregung ist und der Druck auf der Brust Angst. In vielen Fällen reicht das schon aus, um ein Gefühl zu verarbeiten: wir nehmen das Gefühl so an, wie es ist und es löst sich auf.

Man braucht also durchaus nicht immer eine handfeste Lösung oder Aktion. Nebenbei gesagt, kann es auch kein Mensch schaffen, immer eine passende Lösung aus dem Ärmel zu schütteln. Da sollten Eltern sich nicht unter Druck setzen.

Sichere Bindung für eine optimale emotionale Entwicklung

„Versteht mein Kind das überhaupt, wenn ich so mit ihm spreche?”, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Nun, man hat festgestellt, dass wenn Mütter von Säuglingen (!) die Gefühlszustände ihres Babies angemessen ansprechen konnten, z. B. „Oh, tut Dein Bäuchlein weh?” „Ja, freust Du Dich, mein Schätzchen, Häschen (oder welche Tierart Sie bevorzugen …)”, sich daraufhin eine sichere Bindung vorhersagen ließ. Eine sichere Bindung ist so etwas wie Urvertrauen und ein wesentlicher Schutzfaktor für seelische Gesundheit. Obwohl die Babies ja nachweislich noch nicht wörtlich verstehen, was die Mutter sagt, wirkt es positiv aufs Kind.

Von Anfang an haben Kinder die unterschiedlichsten Gefühle. Indem wir dem Kind seine Gefühle ‘spiegeln’, helfen wir also dem Kind, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, sie zu unterscheiden, sie in Worte zu fassen und zu verarbeiten.

Damit legen wir die außerdem die Basis dafür, dass das Kind lernt, seine Gefühle zu kontrollieren, wenn es sinnvoll ist. Z. B. nicht dauernd Wutanfälle zu bekommen, wenn etwas nicht nach Wunsch geht.

Emotionale Kompetenz will trainiert werden

Gleichzeitig werden aber mit dem Eingehen auf die Gefühle auch noch bestimmte Gehirnzellen trainiert, die es uns überhaupt erst ermöglichen, Mitgefühl zu entwickeln. Diese sogenannten Spiegelneuronen haben wir alle schon bei der Geburt, sie müssen aber weiter trainiert werden, sonst verschwinden sie. Die Spiegelneuronen ermöglichen nicht nur, sich in andere Menschen einzufühlen, sie sind auch die Voraussetzung dafür, dass wir durch Beobachtung anderer Menschen lernen, sie also nachahmen können.

Eltern sind Vorbild in Sachen Gefühle

Auch den Umgang mit Gefühlen gucken sich Kinder von den Eltern ab. Denn: Was die Eltern machen, kann ja nicht falsch sein. Eltern beeinflussen also das Verhalten ihrer Kinder ganz stark durch das, was sie ihnen vorleben. Wie gehen sie z. B. mit Enttäuschungen oder Unzufriedenheit um? Rasten sie aus oder sagen sie „Ich versuch es einfach noch mal!” Natürlich kann man mal wütend sein, das ist völlig normal. Aber wie sollten Eltern darauf reagieren, wenn ihr Kind einen Wutanfall bekommt? 

Gefühle von Kindern ernst nehmen, um emotionale Entwicklung zu fördern

Egal um welches Gefühl es sich handelt und egal, ob die Eltern das Gefühl nachempfinden können oder ob sie sich an der Stelle des Kindes ganz anders fühlen würden, Eltern sollten immer das Gefühl des Kindes so annehmen, wie es ist. Es gibt kein Richtig oder Falsch bei Gefühlen. 

Und Gefühle lassen sich auch nicht aus- oder wegreden. Haben Sie jemals auf einen Satz wie „Du brauchst keine Angst zu haben” oder „Du musst nicht traurig sein” geantwortet: „Ach so, na dann ist es ja gut!”? Hier drückt sich eine magische Vorstellung aus, dass wir durch ganz starkes Wünschen die Dinge in unserem Sinne beeinflussen können. Das wird jedoch in den meisten Fällen nicht funktionieren … Gefühle sind einfach da und wir müssen sie so erst einmal akzeptieren. Alles andere wäre eine Reaktion wie bei einem kleinen Kind, das sich die Hände vor die Augen hält und sagt: „Ich bin gar nicht da!”

Eltern müssen nicht alles akzeptieren, was das Kind tut

Dieser Unterschied zwischen Gefühlen und Verhalten ist ganz entscheidend! So können Eltern sicherlich verstehen, dass ein Kind eifersüchtig auf das neue Geschwisterchen ist, das ihm so viel Zeit ‘von der Mama klaut’. Dennoch kann man natürlich nicht gutheißen, wenn es das Baby kneift. Ebenso können wir akzeptieren, dass ein Kind so gern mit dem neuen Freund gespielt und darüber die Zeit vergessen hat, weil es so fasziniert war. Das bedeutet aber nicht, dass wir sein Zuspätkommen in Ordnung finden.   

Sichtweise der Kinder einnehmen

Damit Eltern ihr Kind verstehen können, sollten sie also erst einmal herausfinden, wie die Welt aus seiner Sicht aussieht. Dadurch erschließt sich Vieles, das im ersten Moment merkwürdig, rätselhaft und unverständlich auf Eltern wirkt. Kinder haben eine andere Denkweise als Erwachsene.

Kleine Kinder reimen sich manchmal etwas zusammen, auf das Erwachsene nicht unbedingt kommen. Je jünger sie sind, desto mehr glauben sie, alles in der Welt passiert ihretwegen. Das ist auch der Grund, warum Kinder – auch wenn sie das nicht sagen – oft glauben, ihre Eltern hätten sich getrennt, weil sie so ‘ungezogen, dumm, wenig liebenswert ‘ seien.

Dieses egozentrische Weltbild hat nichts mit Selbstüberschätzung zu tun, sondern ist entwicklungsbedingt. Erst allmählich lernen Kinder sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Eltern können die Kinder dazu anregen zu überlegen, wie sich jemand andres fühlen mag, in einer Geschichte, einem Bilderbuch, einem Film oder auch beim Spielen mit Handpuppen, Spielfiguren, Puppen oder beim Verkleiden. Auch so fördern sie die emotionale Entwicklung ihrer Kinder.

Ihre Susanne Egert

Über Susanne Egert

Susanne Egert ist Psychologische Psychotherapeutin, Verhaltenstherapeutin und EMDR-Therapeutin. Sie arbeitet seit vielen Jahren in einer großen Jugendhilfeeinrichtung, ist Autorin des Rendsburger Elterntrainings sowie des Rendsburger Lehrertrainings und hat unter anderem das Buch „Erfolgreich erziehen helfen. Elternarbeit in Jugendhilfe, KiTa und Schule. Ein Praxisleitfaden“ geschrieben. Außerdem bildet sie bundesweit Fachkräfte im Rendsburger Elterntraining, Rendsburger Lehrertraining und zu anderen Themen fort.

Durch ihre langjährige berufliche Tätigkeit weiß sie, dass viele Konflikte zwischen Eltern, Kindern und Lehrern auf mangelndem Verständnis für den anderen beruhen. „Ich möchte dazu beitragen, dass Eltern und Kinder sich besser verstehen und ihnen dadurch das Leben ein bisschen erleichtern“, sagt die Psychotherapeutin.

Seit 2015 ist Susanne Egert Mitglied im Beirat von scoyo.

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Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.