“Ich schaff das!” Wie Kinder eine starke Persönlichkeit entwickeln
Katharina Looks
Um unser Leben selbstständig meistern zu können und zufrieden zu leben, brauchen wir eine starke Persönlichkeit. Psychotherapeutin Ingeborg Saval verrät, wie Eltern ihre Kinder auf diesem Weg unterstützen.
Wir Eltern wünschen uns, dass unsere Kinder zu starken Persönlichkeiten heranwachsen, die in Schwierigkeiten Herausforderungen sehen und auch mit Rückschlägen gut zurechtkommen. Resilienz heißt der Fachbegriff für dieses „Immunsystem der Seele“. Die wichtigsten Grundsteine dafür werden in der Kindheit gelegt. Gleichzeitig steigen von außen die Ansprüche an Erziehung und Bildung. Das alles bedeutet eine ganze Menge Druck, die auf den Schultern der Eltern lastet.
Ingeborg Saval, Psychotherapeutin und Diplompädagogin, beschreibt in ihrem Buch „Planet Schule. Gemeinsam und unbeschwert den Schulalltag meistern“, wie Familien den Stress zwischen Schule, Freizeit und individueller Förderung reduzieren können. Mit uns spricht sie über Kompetenzen, die Kinder dabei unterstützen, eine starke Persönlichkeit zu entwickeln.
“Gehen die Kleinen offen, neugierig und selbstbewusst durchs Leben, lernen sie, ihre eigenen Stärken besser zu erkennen und diese richtig einzusetzen.”
Zusammengefasst – so entwickeln Kinder eine starke Persönlichkeit:
1. Bedingungslose Liebe
“Ich habe dich lieb!” ist der wichtigste Satz, den ein Kind hören und fühlen soll. Und diese Liebe darf niemals an eine Forderung gekoppelt sein. Hier ist auch kein Platz für Vergleiche, denn jeder Mensch ist einzigartig.
2. Regeln und Grenzen
Kinder wollen Strukturen und Regeln, an die sich alle halten. Eltern sind positive Vorbilder und können auch ein „Nein“ ruhig und konsequent kommunizieren. Klare Grenzen vermitteln auch Halt, Sicherheit und ethische Werte.
3. Verantwortung und Vertrauen
Kinder wollen spüren, dass Eltern in ihnen einzigartige Persönlichkeiten sehen, die auch aus eigenen Erfahrungen und Handlungen lernen dürfen. Sie möchten mitentscheiden können und spüren, dass ihnen Verantwortung zugetraut wird.
4. Kindheit und Leichtigkeit
Neben Förderangeboten und Erfolgserlebnissen brauchen Kinder spielerische Leichtigkeit und ihre eigene, einmalige Kinderwelt. Dort haben Fantasie, Bewegung und Kindergemeinschaften Platz. Da holen sie sich Kraft für neue Herausforderungen.
5. Optimismus und Humor
Gemeinsam lachen tut der ganzen Familie gut. Es baut emotionale Spannungen, negative Einstellungen und Stress ab. Es hilft zu einem Wechsel der Blickrichtung und verbindet. Fröhliche Kinder sind starke Kinder!
Mit scoyo zu mehr Selbstbestimmtheit und Vertrauen beim Lernen:
Das ganze Interview:
Wie können Eltern die Persönlichkeit ihrer Kinder stärken, ohne zu überfordern?
scoyo: Was sind die Grundpfeiler, damit Kinder eine starke Persönlichkeit entwickeln können?
Ingeborg Saval: Kinder brauchen vor allem eine sichere emotionale Basis und Erwachsene, auf die sie zählen können. Sie brauchen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, um neue Situationen und Erlebnisse nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung bewerten zu können. Tragfähige Bindungen von Anfang an, Erfolgserlebnisse und das Gefühl wertvoll zu sein, geben schrittweise das Vertrauen in die eigenen Stärken und Fähigkeiten.
Weder Erwachsene noch Kinder müssen immer alles richtig machen. Fehler gehören zum Leben. Aus ihnen kann man lernen. Nur von echten, ehrlichen Menschen bekommen Kinder die Stärke fürs Leben und die Kraft, mit Rückschlägen umzugehen. Auch das Zeigen von Gefühlen wie Zorn, Enttäuschung oder Trauer ist in Ordnung, solange man die Kleinen nicht verantwortlich macht. Die Pflege von Gewohnheiten, z. B. Familienfeste, Rituale beim Zubettgehen oder die Pünktlichkeit in der Auszahlung des Taschengeldes, geben Sicherheit. Aber ein zu starres, zu geregeltes Leben, das nur wenig Möglichkeit für eigene Überlegungen zulässt, engt ein. Kinder wollen sich erproben, aus eigener Kraft über sich hinauswachsen und ihren Spiel- und Freiraum vergrößern. Mit zunehmendem Alter wollen sie mit den Eltern immer mehr über Regeln verhandeln. Dadurch üben sie zu diskutieren und zu argumentieren.
Das faire Aushandeln von Kompromissen und Lösungen fördert die soziale Kompetenz und das Gefühl der wachsenden Stärke – so entwickeln sie ihre Persönlichkeit stetig weiter.
scoyo: Wie viel Einfluss hat das Handeln der Eltern auf die persönliche Entwicklung von Kindern?
Ingeborg Saval: Jedes Kind ist von Grund auf wissbegierig. Die Familie ist in allen Bereichen wichtig und soll diese natürliche Neugier des Kindes unterstützen und auf keinen Fall bremsen. Wenn Kinder liebevoll angeregt werden, gelingt es ihnen leicht und spielerisch, Kompetenzen zu entwickeln, denn sie können und wollen ständig dazulernen. Das freie Spiel, aber auch Gesellschafts- oder Rollenspiele nehmen hier eine wichtige Funktion ein: Kinder lernen im Spiel soziales Handeln und strategisches Denken, sie üben darin ihre Kreativität und ihren Einfallsreichtum, erweitern Handlungsspielräume und lernen durch Versuch und Irrtum. Und ganz nebenbei üben sie, kompetent mit Fehlern umzugehen. Das alles ermöglicht die Basis, um zu einer starken Persönlichkeit heranzuwachsen.
Weil junge Menschen prinzipiell am meisten durch Nachahmung lernen, ist es für uns Eltern besonders wichtig, uns selber zu überprüfen und Werte und Kompetenzen durch Taten zu vermitteln. Kinder werden nicht nur durch Worte klüger oder sozialer. Ob sie gerne lernen oder sich eher passiv zurückziehen, ob sie sich trauen, stark und eigenverantwortlich zu handeln und Ziele zu verfolgen, hängt auch davon ab, was wir ihnen vorleben. Erwachsene sind Vorbilder und Kinder mögen kompetente, verlässliche Erwachsene.
scoyo: Mittlerweile gibt es Förderangebote wie Sand am Meer. Wie treffen Eltern die richtige Wahl, um die Potenziale ihres Kindes und damit auch die Entwicklung einer starken Persönlichkeit zu fördern?
Ingeborg Saval: Neue Erfahrungen bringen ein Kind umso weiter, je mehr sie zu den Eigenarten und individuellen Interessen passen. Stehen an erster Stelle die Erwartungen der Eltern oder die Normen der Gesellschaft, lernen Kinder vor allem Anpassung und das Befolgen von Wünschen anderer. Selten jedoch entstehen dabei echte Freude und Begeisterung. Die Entwicklung des Gehirns hängt nicht nur von seiner Nutzung ab, sondern auch davon, welche Gefühle da sind. Emotionen beeinflussen Gedächtnis, Lernen und Leistung. Wenn ein Kind sich wohlfühlt, seinen speziellen Interessen nachgehen kann und genau dort Förderung erhält, wird es Selbstwert aufbauen. Das ist Motivation pur!
Aber, neue Erfahrungen durchzuhalten, auch wenn Schwierigkeiten auftauchen, schafft ein Kind nur, wenn es weiß, dass es auch ohne spezielle Leistungen akzeptiert und geliebt wird. Das ist wichtig, um eine starke Persönlichkeit zu entwickeln. Wir erwarten von unseren Kindern aber auch, dass sie sich mit lästigen Pflichten auseinandersetzen und ungeliebte Notwendigkeiten erledigen. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch berechtigt, wenn es z. B. um Hausaufgaben oder das Üben von Vokabeln geht. Aber ist es wirklich notwendig, dass Hans mit seinem Vater regelmäßig Schach spielt, obwohl ihn doch die Autowerkstatt um die Ecke brennend interessiert? Muss Tanja in den Ferien auf eine Sprachreise, obwohl ihre Leidenschaft dem Handball gehört?
Zu glücklichen, starken und kompetenten Persönlichkeiten werden Kinder, wenn sie ihre Talente in geschütztem Rahmen, ohne Zwang und Druck ausbauen dürfen.
scoyo: Es schleicht sich das Gefühl ein, dass Eltern ihre Kinder „überfördern“ und sie damit unter Druck setzen. Das war früher doch anders! Woher kommt dieser Förderwahn?
Ingeborg Saval: Alles, was das Kind gut kann, gibt auch den Eltern ein gutes Gefühl und macht stolz. Das ist normal. Viele Familien bleiben heute viel enger und länger an den Kindern dran. Sie wollen einfach das Beste für ihren Nachwuchs und der Markt reagiert auf diesen Wunsch. Auch die Gesellschaft, Politik und Medien zeigen mehr Interesse an der optimalen Entwicklung von Kindern, als in früheren Generationen. Das Bewusstsein, sich im Wettbewerb behaupten zu müssen, greift daher tendenziell früher in den Kinderalltag ein.
Das ist definitiv positiv und selbst die Gehirnforschung zeigt auf, wie wichtig angemessene Fördermaßnahmen sind. Vorsicht ist aber geboten, wenn ein Kind sich dabei ständig im Mittelpunkt aller Beobachtungen und neuer Förderversuche fühlt. Ein Zuviel macht Stress und führt dazu, dass das Kind weniger Interesse an neuen Angeboten zeigt.
scoyo: Kinder brauchen Anerkennung und Zuspruch. Doch was ist zu viel, was zu wenig im Hinblick auf die Entwicklung einer starken Persönlichkeit?
Ingeborg Saval: Man kann die Leistung eines Kindes mit der Metapher des halbvollen oder halbleeren Glases vergleichen: Wir können uns vor allem über Erfolge freuen, und damit für weitere Schritte ermutigen, oder wir können unser Augenmerk speziell auf Fehler richten.
Dominieren in der Beziehung zum Kind Kritik und Sorge, fällt es schwer, ein tragfähiges Selbstwertgefühl zu entwickeln. Der natürliche Wissensdrang zieht sich dann zurück und Angst oder Selbstzweifel haben freie Bahn. Damit ist nicht gemeint, dass wir Kinder prinzipiell für alles loben müssen. Wenn sie zum Beispiel kein Problem mit dem Addieren haben, genügt auch ein ruhiges „in Ordnung“. Wenn wir ein Kind für jede Kleinigkeit und Selbstverständlichkeit hochjubeln, wird es sich darüber auch gar nicht mehr freuen können. Eine hilfreiche, ehrliche Kritik sollte sich immer auf die Sache beziehen und nie auf das Kind: „Du bist aber schlampig beim Rechnen“ wirkt anders als: „Schau dir die Ergebnisse noch mal genau und in Ruhe an, da haben sich Ungenauigkeiten eingeschlichen.“
Auch Ängste sollten nicht auf das Kind übertragen werden. Wenn ein Kind hört, „Papa war auch nicht gut in Mathe“, schaltet es sehr leicht um und denkt, „Daher bin ich es eben auch nicht“. Besser ist eine einfache Erklärung: „Schau, manchmal dauert es ein bisschen länger, bis man mit einem Stoff klar kommt. Das ist eben so beim Lernen. Soll ich dir helfen?“ Es gehört zum Leben und zum Lernen dazu, dass manches leichter und manches schwerer fällt. Je mehr Eltern ihren Kindern diese Haltung vorleben, desto leichter können Kinder mit Misserfolgen und Pannen umgehen.
scoyo: Je älter Kinder werden, desto mehr treten Freunde in den Vordergrund. Eltern fällt es manchmal schwer, loszulassen. Was macht Kinder jetzt stark? Wie sollten sich Eltern verhalten?
Ingeborg Saval: Eltern haben die schwierige Aufgabe, sich Schritt für Schritt überflüssig zu machen und sich dann noch darüber zu freuen. Denn mit zunehmendem Alter braucht der Nachwuchs nicht nur die Familie, sondern auch andere Gemeinschaften.
Kinder benötigen Freunde, die sie selbst auswählen und sie wollen ausgewählt werden. Diese Freundschaften sind wichtig, um eine Orientierung in der eigenen Altersgruppe zu ermöglichen und die Ablösung vom Elternhaus zu fördern. Nur mit anderen Kindern können sie ihre Fantasie altersgemäß ausleben und ihre Welt teilen. Doch Eltern sind und bleiben nach wie vor wichtig, sie müssen Halt geben, Interesse zeigen, einen sicheren Hafen bilden, sich aber auch zurücknehmen, wenn alles gut läuft. Manche Eltern möchten die besten Freunde ihrer Kinder werden. Ich halte das für wenig erstrebenswert, denn Freunde können wechseln, Freundschaften zerbrechen mitunter. Mama und Papa sind hingegen einzigartig und deren Liebe ist unzerstörbar. Aus dieser Gewissheit heraus bleiben Eltern vertrauensvolle Ansprechpartner und erleichtern so ihrem Kind den Weg in die Selbstständigkeit. Und genau dadurch können sie zu einer starken Persönlichkeit heranwachsen.
Über Ingeborg Saval:
Ingeborg Saval arbeitet seit über 25 Jahren als Pädagogin und Psychotherapeutin, mit einer eigenen Praxis in Wien. Ihr Schwerpunkt liegt in der systematischen Einzel-, Paar- und Familientherapie, hauptsächlich unterstützt sie Eltern und Kinder dabei, mit schwierigen Situationen umzugehen und diese zu meistern. Mit ihren beiden Büchern ‘Starke Kinder’ und ‘Planet Schule’, beide im Trias Verlag herausgegeben, sind zwei Ratgeber entstanden, die Anregungen dazu geben, den Familienalltag mit ein paar Tricks harmonisch zu gestalten.
Das Interview führte Christina Drachsler.
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