Welche Gefahren stecken in Online Games?
Katharina Looks
Online Games bringen zweifelsfrei eine Menge Spaß, aber eben auch Gefahren mit sich
Denken wir an Gefahren im Internet, geraten Online Games nicht sofort in unseren Fokus. Doch leider sind die Spiele auf dem Smartphone oder Tablet gar kein so geschützter Raum für Kinder, wie wir es gerne hätten.
Interview mit Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger
Viele Online Games – vor allem Spiele-Apps – wirken auf den ersten Blick niedlich, bunt, harmlos. Kinder eine Runde auf dem Smartphone oder Tablet daddeln lassen? Kein Problem! Schließlich sind viele der Spiele ab USK 0/6. Dann kann doch nichts passieren, oder? “Doch!”, sagt Thomas-Gabriel Rüdiger und warnt vor Hate-Speech, Cybermobbing oder Cybergrooming. Das wollten wir genauer wissen und haben uns Deutschlands bekanntesten Cyberkriminologen geschnappt und ihm ein paar Fragen gestellt.
Welche Gefahren stecken denn jetzt in Online Games, Thomas?
Thomas: Alles was an Interaktionen zwischen Menschen entsteht, kann auch in Online Games entstehen. Beispielhaft machen Kinder teilweise die ersten Cybermobbing-Erfahrungen in Onlinespielen. Im Unterschied zu anderen sozialen Medien besitzen Onlinespiele häufig keine Upload-Funktion von Bildern und Videos, haben im Gegenzug aber etwas, das alle anderen sozialen Medien nicht haben: die vertrauensbildenden Prozesse aus der spielerischen Aktion heraus. Das macht Online Games für viele Tätergruppierungen interessant, weil sie viel leichter Kontakt und Vertrauen zu den Kindern aufbauen können.
Warum waren uns und offenbar vielen Eltern die Gefahren bis jetzt nicht so bewusst?
Thomas: Es ist für mich immer wieder verblüffend, dass wir uns einen Kopf machen, wenn ein Erwachsener auf dem Spielplatz an unsere Kinder herantritt, aber in jedem Spiel ist das tagtäglich Normalität und wir als Gesellschaft sagen gar nichts dazu. Das liegt für mich erstens daran weil viele mit Spielen immer so etwas wie Super Mario verbinden. Man saß zu zweit vor dem Nintendo und das hatte etwas Vertrauensvolles. Heute kommt aber häufig die Onlinekomponente hinzu.
Zweitens haben es die Gesellschaft und die Politik nicht geschafft, diese Gefahren zu thematisieren. Hier wurde sich auf die Killerspiel-Thematiken oder die Spielsucht fokussiert. Dass die Mitspieler ein Problem sein könnten, dass hier zum Beispiel Erwachsene mit Kindern zusammenkommen, das wurde nie thematisiert und hatte auch keine Auswirkungen auf den Jugendmedienschutz. Weil das nicht thematisiert wurde, finden wir es auch überwiegend nicht in der Presse, sodass die Eltern auch wenig darauf aufmerksam gemacht wurden. Ich glaube, dass bisher noch kein großes Interesse – weder von der Politik noch von der Spieleindustrie – daran bestand, diese Gefahren zu thematisieren. Auch in den sogenannten Game Studies, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Spielen, hat diese Thematik bisher so gut wie keine Rolle gespielt.
Was können wir tun, ohne gleich alle Spiele vom Smartphone zu löschen?
Thomas: Selber zocken! Ich halte es aber für den ungünstigeren Weg, wenn sich Eltern von ihren Kindern zeigen lassen, wie das Spiel funktioniert. Wenn Kinder die Informationshoheit haben, zeigen sie ihren Eltern nur die positiven Aspekte der Spiele. Es ist doch so: Wenn alle deine Klassenkameraden ein bestimmtes Spiel spielen und du willst das auch spielen, dann wirst du deinen Eltern die kritischen Inhalte nicht zeigen. Du willst ja nicht, dass sie dir das Spiel verbieten.
Ich kenne einen Fall, da hatte sich eine Mutter von ihrem Sohn eine halbe Stunde lang Clash of Clans zeigen lassen und war danach total begeistert, wie ungefährlich das Spiel ist. Die Gefahren hat sie nicht gesehen, weil in dieser kurzen Zeit auch die Möglichkeiten gar nicht gegeben waren. Das heißt, man kommt nicht drum herum: Eltern müssen über mehr oder zumindest genauso viel Wissen wie ihre Kinder verfügen. Das gilt nicht nur für Spiele, das gilt für alle sozialen Medien. Das bedeutet natürlich eine Auseinandersetzung mit den Spielen und Zeitinvestition. Das kann man leider nicht wegnehmen.
Also gibt es für Eltern nur die anstrengende Tour? Einfach mal nur kurz ein Spiel downloaden, das bringt es ja wahrscheinlich auch nicht?
Thomas: Genau! Ich denke aber auch, dass viele Eltern selber Lust aufs Zocken haben, wenn sie es erstmal gelernt haben. Und es gibt auch nicht mehr die Zeitausrede von früher, dass fürs Spiele keine Zeit ist. Nein! In jeder U-Bahn kannst du mit deinem Smartphone zocken – selbst auf jeder Toilette! Egal wo.
Spielekonsolen sind zwar immer noch up-to-date, aber bei jungen Leuten verlagert sich das Spielverhalten immer mehr auf die Smartphones. Das ist ein Vorteil für Eltern! Sie können viel besser verstehen und nachvollziehen, was ihre Kinder spielen. Und das gilt nicht nur fürs Gaming, sondern auch für Instagram, Snapchat, usw.
Du sagst auch, dass Eltern sich nicht wirklich an Altersangaben und Siegel bei den Online Games orientieren können?
Thomas: Die Aufgabe des Jugendmedienschutzes in Deutschland ist es faktisch nicht, Kinder und Jugendliche vor Straftaten im digitalen Raum zu schützen. Der Jugendmedienschutz schaut stattdessen, welchen mutmaßlichen Einfluss Medien auf Kinder haben. So wird darauf geachtet, dass Kinder keine nackte Frauenbrust, Blut oder auch ein gesprühtes Hakenkreuz zu sehen bekommen. Aber was zwischen den Mitspielern passiert, das interessiert den Jungenmedienschutz nicht. Deswegen bekommen viele Spiele, vor allem solche, bei denen durch die grafische Gestaltung eine verharmlosende optische Umgebung geschaffen wird, Altersfreigaben für Kinder ab 0, 6 oder 12 Jahren.
Das heißt dann aber nicht, dass ein Kind in so einem Spiel nicht mit einem Sexualtäter oder einem Extremisten konfrontiert wird. Dann kommt typischerweise auch von der Spieleindustrie die Anmerkung, dass dies ja in allen sozialen Medien passieren kann. Das mag stimmen und zeigt auch, dass unsere gesamte Sicherheitsstruktur im Netz für Kinder nicht funktioniert. Mein Wunsch wäre, dass wenn eine Altersfreigabe für Kinder vergeben wird, der Betreiber im Gegenzug verpflichtet wird effektive Schutzmechanismen nachzuweisen, um das Kind vor Straftaten zu schützen. Wann man bedenkt, dass bei den Spielen ein vertrauensbildender Prozess durch die spielerische Interaktion dazu kommt, dann nehmen Online-Games eine besondere Rolle ein. An dieser Stelle ist auch der Staat gefordert, den Jugendmedienschutz diesen Herausforderungen anzupassen.
Viele Eltern denken daran, dass Ihre Kinder Opfer sind. Aber du weißt ja auch öfter darauf hin, dass Kinder auch zu Tätern werden können. Kannst du dazu noch was erzählen?
Thomas: Normalerweise ist es doch so: wir bringen Kindern Moral, Werte und Normen bei. Beispielsweise im Straßenverkehr sagen wir zu ihnen: “Ich nehme dich an die Hand. Wir gehen nicht über die rote Ampel.” Das dient zum einen dazu, dass das Kind nicht Opfer, also überfahren wird, zum anderen vermittelt wir dem Kind auch, dass es Regeln gibt, an die es sich halten muss. Und genau dasselbe brauchen wir für den digitalen Raum auch.
Wir haben im Netz eine steigende Anzahl an kindlichen und jugendlichen Straftaten – ob es sich jetzt um Grooming, Mobbing oder auch dem Besitz oder die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornographie handelt. Wir müssen unseren Kindern nicht nur sagen, dass sie Opfer werden können, wir müssen ihnen auch beibringen, dass sie Täter werden können. Sie müssen wissen, was sie im Netz dürfen und was nicht. Das heißt, wir müssen eine Art digitale Ethik vermitteln. Aber das kann alles nicht nur die Aufgabe der Eltern sein. Dann kommen wir nämlich zu dem Punkt: Was ist mit den Eltern, die das gar nicht interessiert? Darum ist auch der Staat gefragt – ob durch Aufklärung an Schulen oder durch so etwas wie virtuelle Polizeistreifen. Doch da es bisher leider an einer solchen ehrlichen gesellschaftlichen Debatte darüber mangelt, wie wir auch für Kinder einen digitalen Raum – der keine physischen Grenzen kennt – schaffen können, sind gegenwärtig die Eltern gefragt.
Vielen Dank, Thomas, für das aufschlussreiche Interview. Gibt es noch etwas, dass du unseren Lesen mit auf den Weg geben möchtest?
Zockt! Nur wenn man die Spiele selber spielt, kann man die Fähigkeiten erlangen, auch die Gefahren zu erkennen. Und Eltern müssen offen mit ihren Kindern darüber reden. Kinder hören dir zu, wenn sie spüren, dass du Ahnung davon hast und weißt, wovon du sprichst.
Über Thomas-Gabriel Rüdiger
Thomas-Gabriel Rüdiger (Jhg. 1980) ist studierter Kriminologe (M.A.) am Institut für Polizeiwissenschaft der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Seine Forschungsinteressen liegen insbesondere auf digitalen Straftaten und Interaktionsrisiken sozialer Medien, den Auswirkungen digitaler Polizeiarbeit sowie dem Verständnis von Normenentwicklungen und -kontrolle im digitalen Raum.
Weitere Schwerpunkte sind hierbei die Auswirkungen des deutschen Kinder- und Jugendmedienschutzes auf die Entwicklung digitaler Straftaten sowie die Bedeutung von Medienbildung für den Bereich der digitalen Kriminalprävention. Im Jahr 2013 wurde er für seine Forschungen zur Begehung krimineller Handlungen in Online Games mit dem ersten Europäischen Zukunftspreis der Polizeiarbeit ausgezeichnet.
Eltern-Newsletter
Regelmäßige Updates zu den Themen Schule, Lernen, Familie, (digitale) Bildung, exklusive Gewinnspiele und Angebote zu den scoyo Lernprodukten direkt in Ihr Postfach. Jetzt abonnieren!