Kinder und Eltern stärken, von Anfang an! Frühkindliche Förderung
Katharina Looks
Unsere Persönlichkeit trägt uns durch das Leben, wie ein Seil. Je stärker es ist, desto stärker sind wir.
Die ersten Lebensjahre sind die wichtigsten für unsere Entwicklung. Doch nicht jedes Kind hat dafür das beste Umfeld. Die frühkindliche Förderung setzt hier an.
Warum ist frühkindliche Förderung wichtig?
Wir lernen unser Leben lang
Der Prozess des Lernens beginnt ab der Geburt. Besonders die frühe Kindheit ist eine Lebensphase, bei der sich jeder Mensch körperlich, kognitiv, sozial und emotional stark entwickelt.
„In diesen ersten Jahren werden die Grundlagen für späteres Lernen gelegt“, betont die UNESCO.
Im Mittelpunkt der persönlichen Entwicklung steht die Familie
Sprechen, singen, lachen, vorlesen, draußen toben, Nähe schenken – all das brauchen Kinder. All das müssen sie lernen, von ihren Eltern, ihren wichtigsten Bezugspersonen, am besten ab Tag 1 und besonders intensiv in den ersten Lebensjahren. Das Lernen funktioniert über Spaß, über Interaktion und Kommunikation. Besonders dann, wenn die Kinder noch Babys sind.
Das Problem beginnt, wenn Eltern nicht genug Zuwendung geben können
Vielleicht weil sie selbst zu wenig davon erfahren haben, vielleicht weil sie es nicht besser wissen. Der Fernseher übernimmt das Kommando, wenn es gut läuft. Gesprochen wird wenig, vorgelesen gar nicht. Nähe gibt es selten. Und so lernen die Kinder erst spät, wie man spricht, noch später, wie man liest. Soziale Bindungen aufzubauen, fällt ihnen schwer. Die Distanz zu anderen Kindern wächst.
Hier setzt frühkindliche Förderung (bzw. Bildung) an und unterstützt beide, Kinder wie Eltern, damit sie gemeinsam starke Schritte in eine große Zukunft gehen können.
Wir haben mit Julia Meuter von der Stiftung Bürgermut über ihr Engagement im Bereich der frühkindlichen Förderung gesprochen:
scoyo: Sie beschäftigen sich im Rahmen der Stiftung Bürgermut viel mit Projekten, die sich um frühkindliche Förderung drehen. Warum liegt ihnen das Thema am Herzen?
© Julia MeuterJulia Meuter: Wenn man sich aktuelle Studien anschaut, wird deutlich, dass die Unterstützung und Förderung von Kindern in den ersten Jahren sowie deren Eltern immer wichtiger wird. 2,1 Millionen Jungen und Mädchen in Deutschland sind armutsgefährdet. In Städten wie Berlin erhält jedes dritte Kind Hartz-IV-Leistungen.
Mehr und mehr Kinder brauchen in der Schule Unterstützung, die körperliche Fitness sinkt, Übergewicht ist auf dem Vormarsch. Außerdem werden in dieser Zeit essenzielle Grundsteine für die Entwicklung eines Kindes gelegt. Es werden soziale Kompetenzen herausgebildet und gestärkt.
Es ist toll, dass es mittlerweile so viele Initiativen im Bereich der frühkindlichen Förderung gibt, die Kinder und Eltern in den ersten Jahren unterstützen. Wir möchten ihnen helfen, zu wachsen und so noch mehr Kinder und deren Familien zu erreichen.
scoyo: Welche Angebote gibt es für Eltern im Bereich frühkindlicher Förderung? An wen richten sich diese?
Julia Meuter: Zwei tolle Initiativen, die es mittlerweile in vielen Städten Deutschlands gibt, sind die Eltern AG und wellcome. Die Eltern AG unterstützt Familien und werdende Eltern in besonders belastenden Lebenssituationen. In Kursen erhalten Eltern Antworten auf Erziehungsfragen und können sich mit anderen Eltern austauschen. Geleitet werden diese Kurse von speziell ausgebildeten Mentorinnen.
Wellcome richtet sich an alle jungen Eltern, unabhängig vom sozialen Kontext, denen die Unterstützung der Familie und Freunden fehlt. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen besuchen mehrmals wöchentlich junge Familien über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten, kümmern sich etwa um die Kinder oder helfen auch mal beim Einkauf, um der jungen Mutter einige Stunden Freiraum zu verschaffen.
scoyo: Zurzeit stecken Sie mitten in den Vorbereitungen für das openTransfer CAMP Kleine Helden mit dem Fokus auf frühkindliche Förderung, das am 4. Dezember in Esse stattfindet. Was kann man sich darunter vorstellen?
Julia Meuter: Bei dem openTransfer CAMP Kleine Helden dreht sich alles um den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Akteuren der frühkindlichen Förderung. Im Fokus stehen die Fragen: Wie können Initiativen und Programme in dem Bereich wachsen, sodass noch mehr Kinder und deren Familien erreicht werden? Wie können wir voneinander lernen, besser zusammenarbeiten und parallele Strukturen vermeiden?
Für den Austausch auf Augenhöhe hat sich das openTransfer CAMP besonders bewährt, denn es wird im Format „Barcamp“ durchgeführt. Im Gegensatz zur klassischen Tagung gibt es hier kein Programm vorab. Die Teilnehmer bestimmen selbst die Themen, die an dem Tag diskutiert werden sollen. Jeder kann sein Thema in einem Workshop vorstellen.
scoyo: Wer kann teilnehmen?
Julia Meuter: Wir möchten mit dem openTransfer CAMP Kleine Helden vor allem Projektmacher erreichen, also die Personen hinter den erfolgreichen Projekten und Initiativen, die Kinder in ihren ersten Jahren und deren Eltern stärken und sie früh unterstützen.
Zudem laden wir Vertreter aus Stiftungen, die Projekte in dem Bereich der frühkindlichen Förderung unterstützen, sowie aus der Politik – der Kommune oder der Stadt – ein. Denn damit gute Ideen wachsen können, braucht es die Zusammenarbeit mehrerer Akteure.
Nicht zuletzt freuen wir uns auch, wenn Vertreter aus Kitas oder engagierte Eltern kommen. Es geht uns um einen offenen und zielorientierten Austausch und das schaffen wir nur, wenn alle Beteiligten an einen Tisch kommen.
Anmeldung für das openTransfer CAMP Kleine Helden am 4. Dezember 2015 in Essen: opentransfer.de
scoyo: Was wäre für Sie ein Erfolg des openTransfer CAMPS in Essen? Was wünschen Sie sich persönlich?
Julia Meuter: Für mich wäre das openTransfer CAMP ein Erfolg, wenn wir es schaffen, alle Akteure der frühkindlichen Förderung zu erreichen – von Vertretern der Stadt und Stiftungen über Projektmacher bis hin zu den Vertretern aus Kitas. Und wenn diese sich vernetzen und gemeinsam Lösungen dafür finden, wir noch mehr Kinder erreicht werden können.
Ich würde mich freuen, wenn wir außerdem darüber diskutieren, wo es noch Entwicklungsbedarf gibt. Zum Beispiel wird eine große Herausforderung sein, wie wir mit der wachsenden Zahl der Flüchtlingskinder in den Kitas umgehen. Es gibt bereits tolle Ansätze, die ganz gezielt die Bedürfnisse von Flüchtlingskindern in den Blick nehmen. Aber letztendlich muss dies in allen Bereichen, wie zum Beispiel der frühen Hilfen oder der Gesundheitsförderung, mitreinspielen.
scoyo: Welches Projekt, das Sie in der Vergangenheit umgesetzt haben, lag Ihnen ganz besonders am Herzen?
Julia Meuter: Ein Projekt, welches ich vor kurzem beraten habe, war „Lilo Lausch – Zuhören verbindet!“, das von der Stiftung Zuhören ins Leben gerufen wurde. Ziel des Projektes ist es, die Zuhör- und Sprachbildung von Kindern ab 2 Jahren in Kindertagesstätten mit hohem Migrantenanteil zu fördern.
Dabei werden vor allem die Mehrsprachigkeit der Kinder und deren Eltern in den Vordergrund gestellt und als Ressource genutzt. So lädt der Elefant Lilo Lausch zum Beispiel Eltern in die Kita ein, die den Kindern Liedern, Geschichten und Zahlen in vielen Sprachen beibringen. Außerdem gibt es regelmäßige Hörclubs für die Kinder.
Mit dabei ist immer Lilo, eine Elefanten-Dame aus Filz, die die Kinder ermutigt zu sprechen. Der Erfolg des Projekts ist beachtlich – selbst das schüchternste Kind fängt an zu erzählen, wenn Lilo im Raum ist. Das interkulturelle Verständnis der Kinder wird mit dieser Aktion gestärkt.
Damit noch mehr Kinder erreicht werden, haben wir gemeinsam ein Konzept entwickelt, um das Projekt von Wiesbaden aus in andere Städte auszuweiten. Mittlerweile gibt es das Programm schon in 6 Bundesländern.
Das Interview führte Sina Wendt.
Über die Stiftung Bürgermut
Die Stiftung Bürgermut wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, den Wissens- und Projekttransfer von gemeinnützigen Organisationen zu fördern. Neben unserer Plattform Weltbeweger und dem Enter Magazin, haben wir das Programm openTransfer ins Leben gerufen. Hierzu gehören die openTransfer CAMPs, der Mehr-Autoren Blog www.opentransfer.de und die Webinaren der openTransfer Akademie.
Weitere Informationen über die Stiftung Bürgermut: www.buergermut.de
Anmeldung für das openTransfer CAMP Kleine Helden am 4. Dezember 2015 in Essen: opentransfer.de
⇒ Es gibt noch eine andere Seite der frühen Förderung
Bei dieser geht es meist nicht um grundsätzliche Probleme oder Bedürfnisse, sondern um Druck. Er lastet auf den Schultern der Eltern und Kinder und mündet nicht selten in wettkampfähnliche Situationen: Welches Kind hat mehr Talent, kann als erstes sprechen, lesen, zeichnen, Englisch sprechen, Geige spielen … ? Deshalb ist das Wort “Fördern” mittlerweile schon verpönt. Dabei kann genau diese Unterstützung für viele Kinder die Zukunft bedeuten.
- Mehr dazu finden Sie im ELTERN!-Magazin: Helikopter-Eltern – überfürsorglich oder verantwortungsbewusst?.
- Plus Tipps von Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands: Wie Eltern ihre Kinder richtig fördern
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