Wenn Zahlen keinen Sinn ergeben – Rechenschwäche bei Kindern
Katharina Looks
Leerer Kopf an der Tafel..
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es eine Entwicklungsstörung, für Kritiker liegt die Ursache im schlechten Unterricht. Für Kinder bedeutet es einen täglichen Kampf. Doch was hilft bei Dyskalkulie bzw. Rechenschwäche wirklich? Anregungen für Eltern.
Wie breit sind zehn Zentimeter? Wie weit sind zehn Meter? Für viele Menschen sind diese Fragen relativ leicht einzuschätzen, doch manche können sich eine Zahl einfach nicht vorstellen. Für sie ist es schwer, Mengen und Verhältnisse miteinander zu vergleichen oder einzuordnen.
Andere verstehen zwar Aufgaben wie 3 + 4 = 7, können sich dann aber den Rechenweg nicht merken. Und bei manchen Schülern kommt all das zusammen. Für sie stellen selbst einfache Rechenaufgaben eine unüberwindbare Hürde dar.
Spätestens dann spricht man von einer schweren Rechenstörung oder auch Dyskalkulie. Für betroffene Kinder ist Mathe das Horrorfach schlechthin. Mit Intelligenz hat das nichts zu tun: Dyskalkulie ist ähnlich wie Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) eine Teilleistungsstörung, das heißt, Betroffene können in anderen Bereichen sehr gute Noten haben.
Oft wird erst spät in der Grundschule erkannt, dass jemand an Dyskalkulie leidet. Können und sollen sich die Schüler am Anfang der Schulzeit noch mit ihren Fingern Lösungswege erarbeiten, hilft ihnen diese Technik bei größeren Zahlen nicht mehr weiter. Spätestens dann fällt auf, dass die Kinder nie wirklich gerechnet haben.
Der Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie e. V. (BVL) geht davon aus, dass in Deutschland zwischen 3 und 7 Prozent der Kinder und Erwachsenen von einer Rechenschwäche betroffen sind. Doch im Gegensatz zur Legasthenie steckt die Forschung beim Thema Dyskalkulie noch in den Kinderschuhen. Man vermutet, dass bei Kindern mit einer schweren Rechenschwäche die zuständigen Bereiche im Gehirn mangelhaft ausgebildet sind.
Erheblichen Nachholbedarf gibt es also vor allem bei der Suche nach den Ursachen, aber auch dabei, spezielle Förderangebote zu entwickeln: Haben Legastheniker in vielen Schulen Ansprechpartner vor Ort, spezielle Förderprogramme oder schlichtweg mehr Zeit bei der Klassenarbeit, erhalten Kinder mit Rechenschwäche noch vergleichsweise wenig Unterstützung. Einen rechtlichen Anspruch auf Förderung und finanzielle Hilfe haben Familien nicht. Die Krankenkasse zahlt lediglich die Diagnose, nicht die Therapie. Ausnahmen gibt es nur wenige. Für viele Eltern ist das schlichtweg nicht tragbar. Die Hilflosigkeit wächst.
Rechenschwäche bei Kindern: Krankheit oder falsche Lernmethode?
Dabei ist es laut Annette Höinghaus vom BVL enorm wichtig, so früh wie möglich mit geeigneten Fördermaßnahmen zu beginnen, die über normale Nachhilfe hinausgehen. Das sture Üben von Rechentechniken sowie das Wiederholen des Schulstoffs bringe nicht viel.
Rechenschwache Schüler “können nur rechnen lernen, wenn sie verstehen, warum ein Verfahren funktioniert”, sagt auch Mathematik-Didaktiker Wolfram Meyerhöfer, der sich genau aus diesem Grund weigert, Dyskalkulie als Krankheit anzusehen. Er sieht die Ursache von Schwierigkeiten beim Rechnen im schlechten Unterricht, der langweilig und auf Rechentechniken fixiert sei. Das Versagen des Mathematikunterrichts werde zum Versagen des Schülers umgedeutet – und als Störung bezeichnet, so Meyerhöfer im Spiegel-Interview.Diese Meinung teilt auch Jörg Kwapis, Leiter des Zentrums für Therapie der Rechenschwäche (ZTR) in Potsdam, und sagt, dass der Unterricht zu sehr auf richtige Ergebnisse und zu wenig aufs Verständnis ausgelegt sei.
Auch Miriam Lüken, Professorin für Mathematikdidaktik an der Universität Bielefeld, sieht die Ursache von Rechenschwäche bei Kindern im schlechten Unterricht und lehnt den Begriff Dyskalkulie ab. Er klinge wie eine unheilbare Krankheit und vermittle Kindern das Gefühl, “sowieso niemals rechnen [zu] lernen” (https://www.zeit.de/2014/38/dyskalkulie-mathematik-krankheit).
Rechenschwäche bei Kindern: Was können Eltern jetzt tun?
Bei Verdacht auf Dyskalkulie sind die Lehrer des Kindes ein guter Ansprechpartner. Es ist wichtig, dass Kinder die verschiedenen Grundrechenarten verstehen und anwenden können. Denn mathematische Kompetenzen bauen aufeinander auf, ein Schritt folgt dem anderen. Schüler, die die Grundlagen nicht beherrschen, haben es enorm schwer, bei späteren Schritten wieder einzusteigen.
Folge: Sie kommen nicht mehr im Unterricht mit, benötigen viel mehr Zeit beim Lösen der Mathe-Aufgaben als ihre Klassenkameraden und hangeln sich von Stunde zu Stunde. Das demotiviert auf Dauer, erzeugt psychosomatische Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen und schadet dem Selbstbewusstsein der Kinder. Eltern sollten deshalb auf Alarmsignale reagieren und mit Lehrern sprechen oder sich objektiven Rat holen.
Symptome bei einer Rechenschwäche können sein:
- Schwierigkeiten beim Umgang mit Mengen- und Maßeinheiten
- Verwechslung der Rechenarten
- Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Mengen und Zahlen
- Schwierigkeiten beim korrekten Schreiben von Ziffern und beim Lesen der Uhr
- Schwierigkeiten bei der Übertragung von Textaufgaben in mathematische Zusammenhänge
- Probleme mit dem Dezimalsystem
Ansprechpartner bei Verdacht auf Dyskalkulie sind in den meisten Fällen Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Sie führen Rechentestverfahren und Intelligenztests durch, gleichen diese mit familiären Situationen und anderen externen Faktoren ab und erstellen eine Diagnose. Dieses Verfahren wird jedoch zunehmend kritisiert und als “willkürlich” betitelt. Eine erste Orientierung bieten die Tests dennoch, besonders, wenn es darum geht, ob Kinder zusätzlich gefördert werden sollten.
Diagnose: Dyskalkulie – Therapie von Rechenschwäche bei Kindern
Der klassische Weg ist eine Dyskalkulie-Therapie, bei der die psychotherapeutische Arbeit mit einem gezielten Lerntraining kombiniert wird – das heißt, dass neben Lernstrategien auch die seelische Stabilität der Kinder gefördert wird. Die Therapie findet meist in Einzelsitzungen statt.
Die richtige Methode für ihr Kind auszuwählen, ist für die meisten Eltern nicht einfach. Es gibt viele Förderprogramme, und das Berufsbild “Lerntherapeut” ist nicht anerkannt. Deshalb prüft der BVL Qualität und Transparenz von Therapeuten und vergibt das BVL-Zertifikat. Auf der Website des BVL können Eltern nach geeigneten Therapeuten suchen. Eltern sollten sich auch vor Ort bei Verbänden für Dyskalkulie beraten lassen.
Rechenschwäche bei Kindern: 5 Tipps für Eltern, die wirklich helfen
Kinder mit einer Rechenschwäche sind oft frustriert und leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl. Deshalb brauchen sie in erster Linie jemanden, der ihnen den Rücken stärkt. Nur so kann eine Therapie erfolgreich sein.
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Erklären Sie Ihrem Kind, was es mit der Rechenschwäche auf sich hat. Zeigen Sie Verständnis für die Schwierigkeiten beim Rechnen und suchen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind nach Lösungswegen, die die Situation verbessern könnten.
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Statt die Rechenschwäche in den Mittelpunkt zu stellen, sollten Sie Ihrem Kind bewusstmachen, welche Stärken es in anderen Bereichen hat. Nur so kann es wieder mehr Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten bekommen.
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Sorgen Sie für ein positives Selbstbild, auch im Hinblick auf die Mathe-Fertigkeiten: Kinder dürfen nicht das Gefühl haben, dass die Situation ausweglos ist und sie weniger intelligent sind als andere. Loben Sie sie also auch für kleine Erfolge und betonen Sie immer wieder, dass die Förderung nur langfristig wirkt – so vermeiden Sie, dass jeder kleine Fehler als Rückschlag gewertet wird.
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Probieren Sie andere Lernmethoden aus: Mit spielerischen und motivierenden Fördermaterialien oder Computerprogrammen fällt es vielen Kindern mit Rechenschwäche leichter, an ihren mathematischen Kompetenzen zu arbeiten. Rechnen Sie im Alltag, indem Sie die Treppenstufen laut zählen oder die Zutaten beim Backen genau abwiegen und vergleichen. Klopfen Sie, hüpfen oder trommeln Sie mal richtig ausgelassen und zählen Sie dabei. Das macht Spaß und übt! Ein an der Universität Münster entwickeltes computergestütztes Dyskalkulie-Training führte bereits nach sechs Wochen intensiven Trainings zu erheblichen Leistungssteigerungen. scoyo bietet von Experten entwickelte Online-Lernmodule für den Mathematikunterricht an. Anhand von spielerisch aufbereiteten Lernwelten können Kinder den Schulstoff vertiefen und wiederholen.
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Seien Sie geduldig, auch wenn alles Erklären und Üben nicht hilft. Für Kinder mit Rechenschwäche ist das Thema schon Frustration genug.
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Der BVL rät, das “Therapieren” den Lehrern, Therapeuten oder anderen Unterstützern zu überlassen und als Eltern das Kind dadurch zu unterstützen, dass der Leistungsdruck rausgenommen wird.
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