Zwischen Nachhilfe und Förderwahn – die große Hilflosigkeit der Eltern
Katharina Looks
Eltern sind mit ihrer Rolle als Nachhilfelehrer oft überfordert
Immer mehr Eltern machen sich zu Ersatzlehrern. Das ist verständlich – hilft aber nicht weiter. Ein Kommentar von Daniel Bialecki
In diesem Artikel
Seit den verheerenden PISA-Ergebnissen im Jahr 2000 geht eine Bildungsangst durch Deutschland. Sie hat neben den verantwortlichen Bildungspolitikern längst auch die Eltern erfasst. Selbst wenn seit dem ersten PISA-Schock einiges investiert worden ist und die Nachfolgeuntersuchungen weniger desolate Ergebnisse zeigen: Die Angst hält an – und sie hat sich von der Nation auf die Eltern übertragen. Es ist die Angst, den Anschluss zu verlieren, von der Konkurrenz überrannt zu werden. Es ist die zum Teil übersteigerte Angst der Eltern, ihr Nachwuchs könnte den sozialen Status nicht mehr halten.
Diese Angst schürt zugleich ein Misstrauen gegenüber dem Schulsystem. Die zahlreichen Reformversuche in ihren (je nach Bundesland) verschiedenen Ausprägungen konnten das Vertrauen nicht zurückbringen. Sie haben vielmehr zu weiterer Unsicherheit geführt. Das erklärt auch, warum populäre Autoren wie Richard David Precht oder Jesper Juul so enormen Zuspruch gewinnen: der eine ein Philosoph, der im deutschen Bildungswesen den „Verrat an unseren Kindern“erkennt, der andere ein Therapeut, der gar den „Schulinfarkt“ diagnostiziert.
Es scheint mittlerweile fast niemanden mehr zu geben, der mit diesem Schulsystem so richtig glücklich ist: 30 Prozent der Beschäftigten im Bildungswesen litten unter psychischen Problemen, attestiert ein Gutachten eines Aktionsrats Bildung. Der Lehrerberuf ist zum „Höllenjob“ verkommen (Süddeutsche Zeitung). Schülerinnen und Schüler verlieren laut einer scoyo-Studie schon in der Grundschule den Spaß am Lernen.
Immer mehr Eltern entziehen ihre Kinder dem staatlichen Schulwesen und entscheiden sich für eine Privatschule. Gegen die Ganztagsschule gibt es vielerorts Widerstände, weil viele Eltern die Nachmittagsbetreuung zuhause lieber selbst übernehmen wollen.
Sie haben ihre Gründe: Die Schulen erleben sie als überlastet – unter anderem mit den Herausforderungen der Inklusion, für die diese nicht ausgestattet und ein Großteil der Lehrer nicht ausgebildet sind. Individuelle Lernförderung wird in öffentlichen Schulen zum Luxus, wenn die Herausforderung darin liegt, dass Kinder und Jugendliche überhaupt erst einmal lernfähig werden.
Es überrascht also wenig, dass immer mehr Eltern das Heft selbst in die Hand nehmen wollen bzw. sich handlungsunfähig und frustriert fühlen, wenn sie keine Zeit haben, ihre Kinder nachmittags beim Lernen zu begleiten.
Einige Familien greifen tief in die Tasche, um ihren Kindern Nachhilfe von professionellen Anbietern zu finanzieren – selbst wenn die Noten gut sind. Dass die klassische Nachhilfe mit ihren Angeboten kaum geeignet ist, Kinder in ihrer Selbstlernkompetenz zu stärken, wird dabei übersehen.
In der Suche nach Reparaturmaßnahmen für ein überlastetes Schulsystem zeigen sich die Eltern erstaunlich systemkonform und leidensbereit. Solange die Zensuren stimmen, scheint alles in Ordnung. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, wie eine individuelle Lernförderung aussehen müsste, die Kinder zu eigenständigem Lernen befähigt. Noch weniger sind bereit, diese Vorstellungen in die Schule zu tragen und als Forderung an die Bildungspolitik zu formulieren.
So stützen die freiwilligen Nachmittagslehrer mit ihrem Verhalten ein System, dessen Schwächen und Unzulänglichkeiten sie längst erkannt haben.
Natürlich ist es auch die Aufgabe von Eltern, ihre Kinder beim Lernen zu fördern, egal ob sie gute oder schlechte Noten haben. Eltern sollten vor allem Ansprechpartner sein und ihre Kinder begleiten, da sein, wenn sie Hilfe brauchen. Sie sollten ihnen den Freiraum lassen, eigenständig zu forschen. Sie können Anregungen geben und gemeinsam mit ihren Kindern neue Formen des Lernens ausprobieren – zum Beispiel auch mit digitalen Medien.
Damit stärken sie ihren Nachwuchs für die Herausforderungen einer modernen Wissensgesellschaft. Und genau das kommt in vielen Schulen trotz der unzähligen Reformbemühungen noch immer zu kurz.
Von Daniel Bialecki, Geschäftsführer von scoyo
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Am 24. 11. diskutierten Experten auf dem 2. scoyo-Elternabend genau über dieses Thema. Hier können Sie sich den Elternabend noch einmal anschauen.
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