Hat mein Kind eine Konzentrationsschwäche oder Teilleistungsschwäche?
Katharina Looks
Volle Konzentration: Sorgfältig und trotzdem zügig zu arbeiten kann man üben.
Der Sohn unserer Leserin verdreht beim Rechnen öfter die Zahlen. Die Mutter fragt: Hat das Kind Probleme sich zu konzentrieren oder steckt eine Teilleistungsschwäche dahinter? Unsere Experten sind unterschiedlicher Meinung.
Elternfrage: Hat mein Kind eine Konzentrationsschwäche oder Teilleistungsschwäche?
Guten Tag!
Ich habe eine Frage zum Thema Konzentration und Aufmerksamkeit oder ob sich doch etwas anders dahinter versteckt. Mein Sohn verwechselt (aber nicht immer – nur immer wieder einmal) die Zahlen. Zum Beispiel steht da 65 – dann kann es passieren, dass, wenn er es z. B. im Test eilig hat – statt 65 die Zahl 56 registriert und diese als Rechnungsgrundlage nimmt. Z. B. 65:7 – ergibt dann 8, da er im Kopf aber 56:7 annimmt bzw. rechnet. Macht man ihn darauf aufmerksam, erkennt er das gleich.
Ist das ein Konzentrationsproblem oder kann doch eine “Teilleistungsschwäche” – zwar nur eine “leichte” aber doch, dahinterstecken? Wenn ja, welche? Und auf was hin testet man dann? Steckt doch die Konzentration dahinter, wie kann man hier unterstützend dem Kind helfen?
Danke für Ihre Antwort!
Unsere Experten antworten:
Susanne Egert, Psychologin: Schritt für Schritt nach den Ursachen forschen
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Zunächst noch meine Frage: Sie schreiben nichts über das Alter Ihres Sohnes, ich schätze er ist in der 2. oder 3. Klasse, richtig? Tatsächlich kann sich hinter dem ‘Verwechseln’ , das Sie bei Ihrem Sohn beobachtet haben, Verschiedenes verbergen.
Um den Ursachen auf die Spur zu kommen, und daraus die passenden “Gegenmaßnahmen” zu entwickeln, sollte man Schritt für Schritt Dinge ausschließen. Lassen Sie uns doch diesen Weg einmal gemeinsam beschreiten!
Start: Zunächst würde ich vorsichtshalber beim Augenarzt überprüfen lassen, ob ihr Sohn die volle Sehkraft hat. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass der Grund hier liegt: besser ist besser! Bei Kurz- oder Weitsichtigkeit ggf. eine Brille tragen.
2.Schritt: Verwechselt er nur Zahlen oder können es auch Buchstaben, Satzzeichen oder Rechenzeichen sein? Braucht er vielleicht länger, um ein Bild richtig zu erfassen, wie z.B. die Wimmelbilder in Bilderbüchern?
► Das könnte dahinter stecken: Wahrnehmungsschwäche
Manche Kinder brauchen z.B. etwas länger bis sie auf einem Bild Vordergrund und Hintergrund unterscheiden können. Wenn sie aber gar nicht länger hinsehen, erfassen sie nicht alles, was abgebildet ist und nehmen nicht die Einzelheiten wahr. Das muss noch keine Wahrnehmungsstörung sein, vielleicht eine Wahrnehmungsschwäche.
► Das kann helfen: Die visuelle Wahrnehmung trainieren
Die visuelle Wahrnehmung kann man trainieren durch entsprechende Übungsprogramme, aber auch eher spielerisch, wie z.B. “Ich sehe was, was Du nicht siehst”, oder ein Bild beschreiben und der andere soll es danach malen, “Differix”, “Schau genau” usw. Sinnvoll kann es auch sein zu trainieren, dass das Kind länger hinguckt z.B. bei Aufgaben im Mathebuch.
3. Schritt: Sie schreiben, er macht diese Fehler nicht immer, sondern nur wenn er in Eile ist. Gibt es andere Situationen, in denen das auch vorkommt? Und gibt es Situationen, in denen das ganz sicher nicht vorkommt?
► Das könnte dahinter stecken: Impulsives Temperament
► Das kann helfen: Selbstkontrolle und genau hinsehen trainieren
Kinder haben, wie Erwachsene, unterschiedliche Persönlichkeiten und Temperamente, die teilweise vererbt werden. Hat ein Kind ein überschießendes Temperament, ist also sehr lebhaft und spontan, “läuft erst über die Straße und guckt dann, ob ein Auto kommt”, wird es Kleinigkeiten leicht übersehen.
Wenn dann noch einer der anderen Punkte hinzukommt, entstehen durch “Flusigkeit” leicht Fehler. In dem Fall wäre es wichtig, dem Kind das längere Hinschauen, das immer wieder Überprüfen beizubringen. Außerdem sollte das Kind ermutigt werden, sich selbst immer wieder zu sagen: “Ich bleibe ganz ruhig und guck mir die Aufgabe erst mal genau an!” Dadurch lernt es sich zu steuern.
4.Schritt: Wie reagiert er auf Zeitdruck? Wird er hektisch und fahrig oder kann ihn nichts aus der Ruhe bringen?
► Das könnte dahinter stecken: Blockaden durch Druck und Angst
Ihr Sohn gerät unter Druck, hat Angst etwas zu verpassen oder es nicht zu schaffen. “Die anderen fangen schon ohne mich an Fußball zu spielen” usw. Angst blockiert aber das Denken. Kommt dann noch einer der anderen Punkte hinzu, wird das Arbeiten immer oberflächlicher.
► Das kann man tun: Anti-Stress-Training
In einem Anti-Stress-Training oder Elementen daraus kann man lernen, sich selbst zu steuern, zügig aber nicht hektisch zu arbeiten, weil es dann nur länger dauert. Dazu kann man sich selbst Anweisungen geben wie: “Ich bearbeite eine Aufgabe nach der anderen.” oder “Ich konzentriere mich ganz auf meine Aufgabe.”
Hilfreich kann dann auch ein Entspannungstraining sein, in dem man lernt, sich bewusst zu entspannen, wenn man merkt, dass man zu hektisch ist. So etwas bieten die Krankenkassen an oder auch die Volkshochschulen. Ganz praktisch könnte Ihr Sohn aber auch z.B. vor den Hausaufgaben eine Verabredung mit den Freunden treffen, wo sie zu finden sind, wenn er fertig ist.
5.Schritt: Hat Ihr Sohn inhaltliche Schwierigkeiten in Mathematik? Kann er (je nach Alter) Zahlen z.B. der Größe nach ordnen, wenn er sie auf einer Linie (wie z.B. ein Lineal ohne Zahlen) anordnen soll?
► Das könnte dahinter stecken: Rechenschwäche
Möglicherweise liegt bei dem Kind eine Rechenschwäche (Dyskalkulie) vor. Dem Kind fällt der Umgang mit Zahlen schwer, weil es noch gar keine Vorstellung entwickelt hat von kleiner und größer, keine bildliche Vorstellung einer Menge, die zu einer Zahl gehört (wie z.B. auf einem Würfel auf Anhieb die Anzahl der Punkte zu erfassen) usw. Für so eine Schwäche kann niemand etwas, sie hat nichts mit Faulheit zu tun oder mangelnder Intelligenz.
► Das kann man tun: Auf Dyskalkulie überprüfen lassen
Man kann das Kind auf Dyskalkulie überprüfen lassen und ggf. ein Training mit dem Kind durchführen, in dem der Zahlbegriff aufgebaut wird und viele andere Grundlagen nachgeholt werden. Aber auch Bauen mit Lego fördert automatisch diesen Bereich, weil das Kind wie selbstverständlich lernt, dass der Stein mit 4 Knöpfen halb so groß ist wie der mit 8 oder anders gesagt zwei 4er-Steine passen auf einen 8er usw.
Ziel: Wir haben die Ziellinie erreicht. Vermutlich haben Sie auf unserem Weg herausgefunden, was auf Ihren Sohn zutrifft und was nicht. Vielleicht probieren Sie einige Anregungen einfach mal aus und schauen mal, wie weit ihm das hilft.
Falko Stolp, Schulleiter: Kein Grund zur Sorge
© Gleich zu Beginn möchte ich erst einmal „Entwarnung“ geben: Eine Teilleistungsschwäche liegt meiner Meinung nach nicht vor. Dieses Verwechseln der Zehner und Einer kommt bei Schüler*innen öfters vor.
Ein Hauptgrund liegt meiner Ansicht nach an der Sprechweise. Ihr Kind befindet sich in der Schulphase, wo es Wörter und Zahlen schreiben muss. Das heißt u.a., dass es Gehörtes in ein Schriftbild bringen muss. Und das passiert bei uns von links nach rechts. Bei einem gehörten Wort schreibt es also nach und nach die Buchstaben hintereinander. Genau so macht das Kind es nun auch bei Zahlen.
Und plötzlich kommt da eine Ausnahme, dass bei den Einern und Zehnern die Reihenfolge beim Sprechen geändert wird. Sechsundfünzig: Ich höre erst die sechs und dann die fünf aber schreiben muss ich zuerst die fünf. Aus diesem Grund gibt es auch Menschen, die schreiben bei der Zahl 56 erst die sechs und setzen die fünf davor.
Rational betrachtet ist also die Sprechweise falsch. Vielleicht hätte man das bei der letzten Rechtschreibreform mal verändern sollen. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass es auch anders oder „vernünftiger“ geht. Z.B. im Englischen, Italienischen und Russischen hält man die Reihenfolge ein. Sprech- und Schreibweise sind identisch.
In Frankreich packt man lustigerweise noch kleine „Rechenaufgaben” in die größere Zahlen. Die Zahl 85 spricht man da als „4 mal 20 + 5“. Eine ähnliche Problematik gibt es bei links schreibenden Kindern. Die schreiben öfters die Zahlen spiegelverkehrt.
Ich rate auch hier zur Gelassenheit. Wichtiger ist, dass Ihr Kind nicht den Spaß an der Mathematik dadurch verliert. Einfach weiter üben und öfters auftretende Fehler nicht überbewerten. Lernen mit Musik wie bei dem folgenden Lied hilft und macht Spaß.
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