Buddha als Erziehungsratgeber: 5 erleuchtete Erziehungsweisheiten für den Alltag
Louisa Eberhard
Buddha als Erziehungsratgeber? Kann das klappen?
Wer könnte der bessere Erziehungsratgeber sein als Buddha. Er verspricht immerhin Erleuchtung! scoyo-Kolumnist Christian Hanne hat deshalb die fünf wichtigsten Weisheiten für einen entspannten Familienalltag zusammengestellt.
Jede Buchhandlung verfügt über mehrere Regalmeter voll mit Erziehungsratgebern, die alle möglichen Themen und Aspekte sowie jeden vorstellbaren und unvorstellbaren Erziehungsstil abdecken. Aber diese Informationsvielfalt verschafft anscheinend keine Klarheit, sondern eher Ratlosigkeit bei Eltern. Diese sind total verunsichert und fragen sich verzweifelt, über welche Kompetenzen und Eigenschaften sie verfügen müssen, um ihre Kinder einigermaßen unfallfrei zu erziehen.
Was liegt da näher, als bei Jemandem Rat zu suchen, der nicht Wissen, sondern Erleuchtung verspricht? Buddha. Genau, das freundliche Dickerchen, das immer so fröhlich vor sich hinmeditiert. Lesen Sie also hier meine buddhistisch inspirierten Weisheiten, die Ihnen den Erziehungsalltag erleichtern werden.
1. Gelassenheit: „Lerne loszulassen. Das ist der Weg zum Glück.“
Im Buddhismus zählt Gelassenheit, die Upeksha, zu den vier himmlischen Verweilzuständen. Ein Zustand, der nicht einfach zu erreichen ist, und sicherlich legt auch Ihr Kind Ihnen täglich eine Prüfung in Gelassenheit auf. Morgens trödelt es trotz mehrfacher Ermahnungen so lange rum, bis Sie zu spät zur Arbeit kommen, mittags macht es Theater wegen der Hausaufgaben, später weigert es sich, sein Zimmer aufzuräumen, beim Abendbrot findet es, dass alles nach „Kacka“ schmeckt, und vor dem Schlafengehen bricht im Badezimmer die Apokalypse aus, weil die Zähne geputzt werden sollen. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der Sie so auf die Palme bringen kann wie Ihr eigenes Kind. (Außer Sie sind Choleriker und rasten mehrmals am Tag aus. Dann bringt Sie jeder Mensch auf die Palme.)
Wenn Ihr Kind trödelt, trotzt, rebelliert und eskaliert, hilft es aber nichts, wenn Sie explodieren. Stattdessen müssen Sie sich in Gelassenheit üben. Das Problem: Die wenigsten von uns sind in solchen Momenten jedoch tiefenentspannt genug, um gelassen zu bleiben. Das ist aber nicht weiter schlimm. Engagieren Sie einfach einen buddhistischen Zen-Mönch als Nanny. Der weckt morgens das Kind und hilft ihm beim Anziehen, macht nachmittags mit ihm Hausaufgaben, später räumt er mit ihm das Kinderzimmer auf, vor dem Zubettgehen überwacht er das Zähneputzen und anschließend bringt er das Kind ins Bett.
Währenddessen erreichen Sie einen der himmlischen Verweilzustände gestresster Eltern: Sie sitzen gemütlich auf dem Sofa und schauen Netflix.
2. Empathie: „Wenn Probleme auftauchen, erfahrt und erlebt diese mit Mitgefühl.“
Im Buddhismus ist Mitgefühl, das Karuna, eine der „Vier unermesslichen Geisteshaltungen“. Als Eltern brauchen wir besonders viel davon und das ist häufig sehr herausfordernd.
Es ist nicht besonders schwer, sein Kind zu lieben, wenn es fröhlich lachend auf Sie zugerannt kommt, friedlich mit seinen Stofftieren spielt oder wie ein Engelchen schlummert. Wälzt sich ihr Kind dagegen im Supermarkt vor dem Zeitschriftenregal auf dem Boden herum und kreischt dabei so schrill, dass der älteren Dame an Kasse 4 die Brillengläser zerspringen, ist das mit der Elternliebe nicht ganz so einfach.
Genau in diesen Situationen ist ihr Mitgefühl gefordert. Schließlich macht Ihr Kind das nicht, um Sie zu ärgern oder weil das dolle viel Spaß macht, sondern weil es nicht weiß, wohin mit sich und seinen Emotionen. Dort müssen Sie dann empathisch sein, so schwer das auch fallen mag.
Für solche schweren Fälle kennt der Buddhismus die Meditationstechnik des „Tongelns“, bei der das Leid des Anderen eingeatmet und Mitgefühl ausgesendet wird. Probieren Sie das einfach das nächste Mal aus, wenn Ihr Kind im Supermarkt eskaliert. Okay, eventuell endet Ihr Tongeln damit, dass Sie sich selbst auf dem Boden herumwälzen und Hausverbot erteilt bekommen, aber wenigstens sind Sie auf dem Weg der erleuchteten Elternschaft einen Schritt weitergekommen.
Wenn das mit dem Tongeln nicht so recht funktionieren will, richten Sie Ihren Blick in die Ferne: Im Moment ist so ein kindlicher Tobsuchtsanfall zwar eher unangenehm, aber in ein paar Jahren ist das eine sehr lustige Story. (Außer für die ältere Dame von Kasse 4, die 500 Euro für neue Gleitsicht-Brillengläser inklusive UV-Filter, Superentspiegelung und Hartschicht-Veredelung bezahlen musste. Für die ist das eine ziemlich beschissene Story.)
3. Mitfreude: „Das Merkmal der Mitfreude besteht im sich freuen mit den Wesen.“
Mudita, die Mitfreude, ist eine weitere der „Vier unermesslichen Geisteshaltungen“ im Buddhismus. Da denken Sie sich jetzt vielleicht: „Na, das ist ja nicht schwer mit dieser Mitfreude. Ich habe mich erst gestern dolle mit meinem Kind gefreut, als es das erste Mal alleine Fahrrad gefahren ist.“
Da haben Sie zwar recht, aber die Mitfreude ist – ähnlich wie das Mitgefühl – besonders in Situationen gefragt, wenn sie einen nicht gerade anspringt. Zum Beispiel wenn Ihr Kind den gerade frisch abgezogenen Dielenboden im Wohnzimmer großflächig mit schwarzem Edding vollgekritzelt hat.
Falls Sie die buddhistische Gelassenheit noch nicht ganz verinnerlicht haben, ist Ihr erster Impuls wahrscheinlich, einen Kreuzbrüller loszulassen. Das sollten Sie aber nicht, denn Ihr Kind ist bestimmt wahnsinnig stolz darauf, dass es den Fußboden so toll verschönert hat. Da wäre es geradezu schäbig von Ihnen, wenn Sie deswegen jetzt rumschreien und damit für immer die Kreativität und Spontaneität Ihres Kindes zerstören.
Indem Sie sich stattdessen über das Glück Ihres Kindes freuen, werden Sie selbst dauerhaftes innerliches Glück empfinden. (Außer wenn Sie das komplette Wohnzimmer ausräumen und den Fußboden mühselig abschleifen müssen. Da werden Sie innerlich nicht ganz so glücklich sein.)
4. Mitmenschlichkeit: „Was da für mich eine unliebe und unangenehme Sache ist, wie könnte ich das einem andere aufladen?“
Wie in fast allen Religionen gibt es auch im Buddhismus eine Form der so genannten „Goldenen Regel“, die auf der Gegenseitigkeit menschlichen Handelns beruht. Im Volksmund heißt das dann: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu.“ Oder positiv formuliert: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Oder noch einfacher und derber: „Sei kein Arschloch.“
Was den Buddhisten recht ist, kann Ihnen für die Erziehung nur billig sein. Versetzen Sie sich also in Ihr Kind und laden Sie ihm keine Sache auf, die Ihnen unlieb und unangenehm ist. Möchten Sie beispielsweise von einem fünf Meter großen Riesen angebrüllt und genötigt werden, grüne Bohnen zu essen? Wahrscheinlich nicht. (Außer Sie essen gerne Bohnen. Dann finden Sie das nicht schlimm.)
Weil einem die Mitmenschlichkeit nicht immer so leicht von der Hand gehen will, gibt es im Buddhismus die Metta-Meditation, die das Ziel verfolgt, eine liebevolle, wohlwollende Haltung gegenüber der Welt und allen fühlenden Wesen einzunehmen. Allerdings ist diese Form der Meditation recht zeitaufwändig und wird häufig in mehrstündigen Retreats praktiziert. Dafür werden Sie aber feststellen, dass in diesen meditativen Stunden die Erziehung Ihres Kindes vollkommen problemlos und spannungsfrei ist. (Ihr Partner oder Ihre Partnerin sieht das womöglich anders.)
5. Gleichgültigkeit: „Tu was du willst, aber nicht, weil du musst.“
Zugegebenermaßen ist Gleichgültigkeit keine buddhistische Tugend, für Eltern ist sie aber dennoch essenziell. Selbstverständlich nicht gegenüber Ihren Kindern. Da sollen Sie immer Interesse zeigen und ein offenes Ohr haben. (Außer Ihr Kind zählt Ihnen alle 807 Pokémon mit ihren Skills und Kategorien auf. Dann dürfen Sie einen dringenden geschäftlichen Anruf vortäuschen.)
Gegenüber anderen Eltern oder Kinderlosen, die Ihnen unerwünschte Erziehungstipps geben, dürfen Sie aber durchaus gleichgültig sein. Denn jede Familie hat ihre eigenen Regeln und Rituale, die bei allen Familienmitgliedern funktionieren, und da müssen Sie sich von niemandem reinreden lassen.
Wenn Sie zum Beispiel jeden Morgen Ihrem Kind die Klobrille warmföhnen, damit es sich wohl fühlt, wodurch alle einen guten Start in den Tag haben, dann scheren Sie sich nicht darum, dass irgendwelche Vollpfosten sagen, Sie verwöhnen das Kind zu sehr und sie müssen es besser auf die Härten des Lebens – und auf kühle Klobrillen – vorbereiten. „Tu, was du willst, aber nicht, weil du es musst.“ Oder unbuddhistisch ausgedrückt: „Einen Scheiß muss ich!“
Der „Einen Scheiß muss ich!“-Ansatz ist sehr befreiend, allerdings müssen Sie ihn auch anderen Eltern zugestehen. Haben Sie beispielsweise für sich entschieden, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kind im Familienbett schlafen wollen, bis es nicht mehr schulpflichtig ist, dann machen Sie das. Aber versuchen Sie nicht, andere Eltern, die ihr Kind vom Säuglingsalter an ins eigene Bettchen im Kinderzimmer gebracht haben, davon zu überzeugen, sie müssten ebenfalls das Familienbett als eierlegende Wollmilchsau der Schlafsituationen einführen. Einen Scheiß müssen die!
Enden lassen möchte ich meine buddhistischen Reflexionen über Erziehung mit dem weisesten aller buddhistischen Ratschläge:
„Nun vergesst alles, was ich euch gesagt habe, und findet es selbst heraus.“
Am besten schauen Sie sich dazu mal die Übersicht zu Erziehungsratgebern des Vereins „Bindungsträume“ an. Da finden Sie sicherlich Erleuchtung.
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Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Am 17. Oktober ist sein neues Buch „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ im Seitenstraßen Verlag erschienen.
Im Netz
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