Warum Eltern lausige Nachhilfelehrer für ihre Kinder sind
Katharina Looks
Wenn Eltern ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen, kann es auch mal gewaltig krachen. Warum sie oft nicht die beste Wahl für den Job des Nachhilfelehrers sind, erklärt Bildungsunternehmerin Béa Beste in ihrer Kolumne.
07.07.2016, Kolumne von Béa Beste
Zu Schulzeiten habe ich mein Taschengeld aufgebessert, indem ich Nachhilfe gegeben habe. Ich war gut in Mathe und Physik, ich konnte anständig erklären – also lag es auf der Hand, dass ich daraus etwas machen würde.
Die Kohle war natürlich super. Aber vor allem befriedigte mich daran, zu merken, wie sich meine “Küken” entwickelten … Plötzlich stellten sie smarte Fragen und konnten Lösungswege selbst entwickeln. Mir schwellt heute noch die Brust vor Stolz, wenn ich daran denke.
Nun lag es auf der Hand, Jahre später, dass ich meinem eigenen Kind in der Schule helfen würde, wann immer es das braucht. Hm. Die Erfahrungen, die ich mit der jungen Dame in den diversen Phasen ihrer Schulentwicklung gemacht habe, sind doch recht gemischt:
Stufe 1: Aufdrängen, wo es gar nicht Not tut
Ich mit Blick auf die Hausaufgaben: “Bruchrechnung, ihr habt endlich Bruchrechnung? Yeah.”
Meine Tochter, augenrollend: “Ja, Mama.”
Ich, begeistert, augenleuchtend, Knete aus dem Schrank kramend: “Schau mal, ich erkläre es dir mal, wie ich das früher meinen Nachhilfeschülern erklärt habe! Eine super Methode!!! Schau mal, das ist zum Beispiel ein Kuchen, das teilen wir in … bla…bla…bla.”
Tochter, nach höflichem Zuhören: “OK, Mama, wenn du das noch brauchst, kannst du das so visualisieren. Mir reicht es völlig, die Brüche mit Zahlen hinzuschreiben, das ist nicht so schwer, sich da Teile eines Ganzen vorzustellen…”
Ich: “…”
Stufe 2: Thanks for oversharing
Meine Tochter: “Mama, kannst du mir bitte kurz helfen, ist die Aufgabe hier korrekt gelöst?”
Ich, augenleuchtend: “Ja, aber es gibt noch drei andere Wege, sie auch zu lösen, schau mal … bla… bla… bla…”
Tochter, nach höflichem Zuhören: “Mama, mir ist langweilig. Und ich habe noch viel auf. Kann ich jetzt einfach die anderen Aufgaben lösen, wie ich die erste gemacht haben, wenn es richtig ist?”
Ich: “…”
Stufe 3: Andere Zeiten, andere Lösungswege
Ich: “Hausaufgaben fertig?”
Meine Tochter: “Nee, ich kann die eine Aufgabe nicht …”
Ich: “Lass mal sehen … So und so geht das … … bla… bla… bla…”
Meine Tochter: “Nein, so haben wir das nicht gemacht, das ging anders, du hast gar keine Ahnung.”
Ich: “Natürlich habe ich Ahnung, schreib das so hin, das wird gut sein, glaub mir.”
Sie: “Nein, das haben wir so nicht gelernt, das darf ich nicht!”
Ich: *Vortrag über Bildung*
Sie: *Verlässt genervt den Raum*
Die Stufen 4 bis ungefähr 7 verbleiben vertrauliche Familiengeschichten mit Friedensstörungshintergrund.
Es ist schwer, liebe Leute, seinen eigenen Kinder in der Schule und beim Lernen zu helfen!
Dabei würde es helfen und bares Geld sparen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die für die Infratest dimap im Schuljahr 2014/15 bundesweit 4300 Elternteile befragt hat, ergab: Eltern, deren Kinder Nachhilfe bekommen, geben demnach monatlich im Schnitt 87 Euro aus, insgesamt fließen jährlich 879 Millionen Euro in den Nachhilfesektor. Das ist eine Menge Knete – aber auch der einzelne Betrag für eine Familie ist viel! Daher liegt es auf der Hand, lieber selbst erklären zu wollen.
Die Eltern-Ich-Kind-Ich-Falle
Aber meistens endet dies in einem Fiasko, denn kleine und große Menschen begeben sich damit, psychologisch gesehen, in eine komisch verhedderte Eltern-Ich und Kind-Ich Konstellation. Auf der einen Seite ist sie normal: Die Eltern habe die Eltern-Ich-Rolle und die Kinder die Kind-Ich-Rolle. Soweit alles klar.
Aber es ist auch umgekehrt: Das Kind fühlt, dass Schule und Hausaufgaben sein Job sind, worüber es am liebsten Kontrolle hätte. Es beansprucht die Eltern-Ich-Rolle also auch ein wenig für sich. Und Eltern kommen damit nicht klar, dass sie eigentlich nicht “im Lead” sind, sondern, dass sie dies dem Kind überlassen sollten. Peng! Jetzt knallt es und alle sind frustriert.
Was ist die Lösung?
Am einfachsten ist es, wenn Eltern wenig Ahnung haben und sich auf eine Lern-Entdeckungsreise mit dem Kind begeben. Also nicht, wenn Mama und Papa so viel Wissen und Tricks ins arme Kind “reinkippen” wollen, sondern eher, wenn sie selbst auch noch für sich Wissen entdecken. Co-Learning nennt man das.
Also: Ein Team bilden und sich gleichermaßen neugierig und offen auf einen Pfad begeben, der für beide unbekannt ist. Das kann funktionieren. Alles andere nicht. Auch wenn es sich unlogisch anhört: Je mehr Ahnung Sie von einem Fach haben, desto eher sollten Sie es an jemand anderen delegieren.
Eine Kolumne von Béa Beste.
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Über Béa Beste
Bildungsunternehmerin Béa Beste ist Bildungsunternehmerin und Mutter einer großen Tochter, die sich schon im Studium befindet. Im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin plädierte Béa Beste als Expertin im Bereich „Wie wollen wir lernen?“ für eine Lernkultur der Potenzialentfaltung und mehr Heiterkeit in der Bildung. Béa gründete 2006 die bilingualen Phorms Schulen. Nach sechs Jahren als CEO ging sie 2011 auf Bildungsexpedition durch Indien, Australien, Indonesien und die USA. Inspiriert von internationalen Bildungsinnovationen entwickelte sie das Playducation Konzept: Was wäre, wenn sich Lernen wie Spielen anfühlt? Leider setzte sich das Produkt, die monatliche Tollabox mit Materialien und Ideen für Familien mit Kindern ab drei Jahren, nicht am Markt durch, sodass Béa derzeit neue Ideen entwickelt, um das Konzept digital umzusetzen. Sie führt den Kreativ-Blog der Tollabox als ‘Tollabea’ weiter.
Webseite: www.tollabea.de | Facebook: facebook.com/tollabea
Twitter: @TOLLABEA | twitter.com/TOLLABEA
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