Liebe Lehrer, macht euch locker!
Katharina Looks
Den Stress im Schulalltag erleben nicht nur Schüler, auch Lehrer verlieren zwischen Klassenarbeiten, Lehrplan und Elternabend manchmal ihre Lockerheit. Lydia Clahes liegt es am Herzen, dass sie sie zurückgewinnen.
Ganz klar, Kinder sind viel mehr als Noten. Das wissen nicht nur Eltern, das wissen auch viele Lehrer – trotz, dass sie Kinder benoten müssen. Eine Lehrerin, die sich für eine positive Lernatmosphäre einsetzt, Schüler beim Wachsen unterstützen und ihre Talente zum Strahlen bringen will, ist Lydia Clahes. Lydia hat den Podcast “Locker Lehrer” ins Leben gerufen. Der Podcast richtet sich nicht nur an Lehrer und Referendare, sondern an alle, die sich im Bereich Schule Veränderungen wünschen – gepaart mit Humor, Herz und Leichtigkeit. Diese Lehrerin wollten wir kennenlernen und haben Lydia zu einem Interview eingeladen.
Liebe Lydia, am besten stellst du dich kurz unseren Lesern vor! Wie hat dich dein Weg von der Gymnasiallehrerin zur Podcasterin geführt?
Lydia: 2004 startete ich mit Leib und Seele als Gymnasiallehrerin für die Fächer Deutsch und Religion. Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass ich im Herzen eigentlich Gesamtschullehrerin bin, weil ich es persönlich für viel authentischer und lebendiger halte, wenn im Unterricht jeder von jedem lernen kann – jede Fähigkeit zählt! Über Schule wird viel gejammert und auch ich habe die letzten Jahre mit Einigem gerungen. Doch entspricht es meinem Naturell, mich auf das Positive im Leben zu fokussieren und so gab es einiges an schönen Erfahrungen hinter meiner Klassenzimmertür, die ich nun dagegenhalten möchte.
Ich bin zugleich Psychologische Beraterin, Lerncoach und Mutter von zwei Kindern und es war an der Zeit zu reflektieren, welche Erfahrungen aus 13 Jahren Lehrerinnen-Dasein für mich wunderbar und wertvoll waren. Da ich gerne mit anderen teile, was das Lehrerleben leichter macht, ist daraus “Locker Lehrer- der positive Lehrerpodcast” geworden. Ich freue mich sehr, dass dieser Podcast offensichtlich vielen jungen Kollegen weiterhilft, bei allem Druck eine positive Haltung gegenüber ihren Schülern zu wahren.
Du bist auch als Psychologische Beraterin und Lerncoach tätig. Gab es einen bestimmten Anlass, warum du diese Weiterbildungen angegangen bist?
Lydia: Die Ausbildung zur Psychologischen Beraterin entsprang aus dem Bedürfnis heraus, Schülern über die fachliche Bildung hinaus mehr Persönlichkeitsbildung mitgeben zu können. Denn die Probleme, die sie in manchen Fächern haben, hängen oft gar nicht am Fach selbst. Oft fehlt es an Struktur oder diese Schüler haben schon sehr viel Frust erlebt und ein Selbstbild entwickelt, das ausschließlich auf das schulische Bewertungsraster ausgerichtet ist. Sie sind sich ihrer eigenen Stärken und Besonderheiten gar nicht mehr bewusst, weil Schule und Schulprobleme oft so einen großen Raum auch in der familiären Kommunikation eingenommen haben. Als empathischer Mensch suchte ich stets nach Gründen, warum ein Mensch gerade so agiert, wie er agiert und wollte den Schülern helfen, wieder Erfolgserlebnisse in der Schule feiern zu können. So bot sich die Ausbildung zum Lerncoach an. Lerncoaching geht über spezielle fachliche Förderung hinaus ressourcenorientiert und bedürfnisorientiert vor, behält den Schüler im Ganzen – also auch privaten Dasein – im Blick.
Als ich selber Mutter wurde und am eigenen Leib erlebte, mit welchen Problemen Eltern kämpfen, kam in mir immer mehr der Drang auf, Schule allgemein zu vereinfachen, sie etwas gelassener zu gestalten und Schüler und auch Lehrer wieder mit etwas mehr Spaß zu füttern. Meine Zusatzausbildungen kamen mir für die Erarbeitung entsprechender Konzepte sehr entgegen.
Gibt es etwas, an das es deiner Meinung nach im Schulalltag fehlt, um für Schüler wie auch für Lehrer ein gutes Lern- bzw. Lehrklima zu schaffen?
Lydia: Meiner Ansicht nach bräuchte es mehr Zeit und Flexibilität bei der Themenwahl im Unterricht. Mit einem Augenzwinkern sag ich jungen Lehrern immer: “Bilde dir ja nicht ein, dass alles hängenbleibt, was du deinen Schülern über dein Fach einzutrichtern versuchst …”
Die Lehrpläne sind voll und viele Lehrer sehen sich unter Druck, alle Inhalte vollständig in ihrem Unterricht umzusetzen. Sie gehen davon aus, dass deswegen keine Zeit für intensivere persönliche Gespräche oder Exkursionen mit der Klasse bleibt. Genau dies bräuchten viele Schüler aber, um sich in der Schule wohlfühlen und so auch besser lernen zu können. Ich halte daher dreist dagegen: Lieber ein Unterrichtsthema, hinter dem ich selbst nicht steh, auch mal etwas oberflächlicher behandeln oder gar ein eigenes einfügen – zugunsten von Beziehungspflege und schöner gemeinsamer Erlebnisse, zugunsten des sozialen Klimas in der Klasse und individueller Möglichkeiten, die Schüler auch außerhalb des Lehrplans wirklich mit ihren eigenen Kompetenzen glänzen zu lassen. Daraus entwickeln sie nämlich erst die nötige Lernbereitschaft für wichtige Unterrichtsthemen.
Uns als scoyo liegt auch die digitale Kompetenz von Kindern am Herzen. Mit einem eigenen Podcast, einer Website und einer eigenen Facebook-Gruppe bist du ganz klar digital unterwegs. Wie sieht es in deinem Unterricht aus? Spielen digitale Medien eine Rolle?
Lydia: Natürlich darf sich Schule nicht vor Digitalisierung verschließen. Das wäre ja fatal! Es geht gar nicht mehr ohne. Ich nutze digitale Medien, sehe ich aber nicht unbedingt meine Stärke darin. Zum Glück gibt es mittlerweile viele Lehrer, deren Unterricht auch digital 1A funktioniert. Nicht immer kann sich dabei auf die technische Ausstattung einer Schule verlassen, weshalb ich im Unterricht oft davor zögere und auf für mich unkompliziertere Mittel zurückgreife. Ich finde das aber auch in Ordnung so: Schüler müssen unterschiedliche Lehrertypen mit verschiedenen Stärken um sich haben.
Eine Gefahr, die ich jedoch auch in der Digitalisierung sehe, ist die virtuelle Kommunikation, die eigentlich wie eine Sprache gelernt werden sollte. Ich erlebte das z. B. anhand von Klassen-WhatsApp-Gruppen immer wieder. Am Vormittag investiert man viel Zeit in Sozialtrainings mit der Klasse, am Nachmittag macht ein schiefgelaufener Klassenchat vieles wieder kaputt. Die Schüler trauen sich dort oft bedeutend mehr als in der analogen Welt, bekommen dabei aber eben keine authentische menschliche Gegenreaktion geliefert, an der sie wachsen könnten.
Ich denke, dass wir die Schüler unbedingt erst in der analogen Welt stärken müssen, bevor wir sie in die digitale Welt schicken und sie lange Zeit im Auge behalten und beschützen sollten, wenn sie sich dort aufhalten.
Du erzählst in deinem Podcast von so schönen Ideen wie lustigen Klassenfotos in der ersten gemeinsamen Unterrichtsstunde aufnehmen, um die Namen der Schüler zu lernen und gibst Lehrern auch Hinweise zu Themen wie z.B. “Beziehungspflege”, “Elternarbeit” oder “Motivation”. Woher nimmst du deine Inspirationen?
Lydia: Kreativität, Humor und Herz sind mir sehr wichtig und das wollte ich auch immer schon in die Schule bringen. Die meisten Tipps im LockerLehrerPodcast entspringen aus persönlichen Erfahrungen, die auch für mich nicht immer locker zu nehmen waren. Vieles habe ich im Laufe der Zeit von wunderbaren Kollegen und auch Eltern lernen können. Auch mein Dasein als Mutter und der außerschulische Austausch mit Eltern und Schülern als Personal Coach und Lerncoach hat vieles an meiner eigenen Haltung Schule gegenüber verändert und mich zu immer neuen Ideen inspiriert.
Welche Tipps möchtest du vor allem ganz jungen Lehrern mit auf dem Weg geben, die sich vielleicht noch nicht stark genug fühlen, ihr eigenes Ding zu machen?
Lydia: Ich rate, sich bei allem äußeren Druck immer auch persönliche Wohlfühlinseln zu schaffen, persönliche Interessen und Stärken auch in die Schule einzubringen. Nicht nur fühlt man sich selbst damit wohler, man wird auch von Schülern als authentische Persönlichkeit ernstgenommen.
Ich singe und musiziere zum Beispiel sehr gerne. Wenn Schüler beim Geburtstagslied-Trällern oder Klavierspielen auf der Klassenfahrt meine Begeisterung spüren, kann ich sie anschließend auch mit meinen Unterrichtsthemen besser erreichen.
Die LeserInnen unseres Magazins sind vor allem Eltern. Du bist auch Mama und nimmst nicht nur die Rolle der Lehrerin ein. Hast du ein paar Tipps für Eltern im Umgang mit Lehrern? Wie bauen Lehrer und Eltern gute Beziehung auf?
Lydia: Es ist gut, dass Eltern heute kritischer sind als früher. Sie stehen selbst oft unter Druck und müssen der Schule das Wertvollste anvertrauen, was sie besitzen, benötigen also entsprechend Transparenz. Hilfreich fürs Kind ist es jedoch auch, wenn die Eltern den Lehrern einen gewissen Vertrauensvorsprung entgegenbringen: Man sollte also die ungewohnte Vorgehensweise des neuen Klassenlehrers nicht sofort kritisch beäugen, sondern erst einmal darauf vertrauen, dass auch der nur das Beste für mein Kind will und ich nicht alles verstehen muss, was seinen Unterricht betrifft. Man sollte den Lehrer als neue, wichtige Person im Leben des Kindes annehmen und sich sagen: Nicht ich, sondern mein Kind sitzt im Klassenzimmer und soll sich dort wohlfühlen. Auch sollte man aus den subjektiven Schilderungen des Kindes keine voreiligen Schlüsse ziehen. Kritisieren Eltern die Lehrer vor den Ohren ihrer Kinder, kann dies die Schüler-Lehrer-Beziehung unnötig belasten und damit ist niemandem geholfen.
Es ist schön, wenn Eltern auch mal Positives anmerken: “Hey, es freut mich, dass mein Kind hier in Ihrer Klasse so gut angekommen ist.” oder “Meine Tochter hat zu Hause erzählt, dass ihr das Deutschthema gerade richtig viel Spaß macht.” Ein kleines Lob am Rande, das hört jeder Mensch gerne und Lehrer bekommen eigentlich viel zu wenig davon, obwohl viele doch auch viel Herzblut in ihre Arbeit stecken.
Liebe Lydia, hast du zum Schluss noch einen Herzenstipp für unsere LeserInnen?
Lydia: Liebe Eltern, lasst die Schultagsprobleme nicht zum ständig bestimmenden Thema jedes Abendbrottischgesprächs werden. Ermöglicht euren Kindern eine fröhliche Kindheit, sorgt für schöne private kleine Erfolgserlebnisse und nicht etwa für die dritte Nachhilfestunde in der Woche. Eine stabile Beziehung zu seinen Eltern kann ein Kind stark machen – nicht nur für die Schule, sondern fürs ganze Leben. Schulthemen sollten diese Beziehung nicht trüben.
Zensuren sind von vielen Faktoren abhängig. Darum zu feilschen – wenn nicht gerade ein wichtiger Abschluss oder Schulwechsel auf dem Spiel steht – halte ich für bedenklich. Wenn man erlebt, dass sich das Kind insgesamt gut und fröhlich entwickelt ist es unerheblich, ob es immer gute Noten mit nach Hause bringt. Lernen findet überall statt – nicht nur in der Schule!
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