Demokratische Schulen: Gebt den Kindern das Kommando!

Katharina Looks

Der Dokumentarfilm “Schools of Trust” schildert eindrucksvoll, was passiert, wenn man Schülern Raum lässt, sie selbst zu sein.
© Schools of Trust

An demokratischen Schulen können Kinder sich frei entfalten, ohne Lehrpläne und starre Strukturen. Nicht vorstellbar? Warum gerade das fit für die Zukunft macht. Ein Gespräch mit Thomas Möller und Christoph Schuhmann.

Als junger Lehrer führte Christoph Schuhmann eine kleine Umfrage durch, in der er die Schüler einer Regelschule fragte, was sie mit „Lernen“ assoziieren. Für nahezu alle Schüler war der Begriff mit Wörtern wie „Pflicht“, „Das muss man machen” oder „Das macht keinen Spaß“ behaftet. Das wollte und konnte er nicht hinnehmen.

Er fing an zu recherchieren und holte den BWL-Studenten Thomas Möller mit ins Boot. Beide hatten viele, viele Fragen, die sie schon seit langer Zeit bewegten. Doch vor allem eine trieb sie an:

„Gibt es Schulen, an denen Kinder gerne lernen?”

Sie zogen los, besuchten 6 Länder, 20 Schulen, interviewten Kinder, Eltern, Lehrer, Wissenschaftler und Reformpädagogen. Schnell stellten sie fest: Ja, es gibt sie, die Revolutionäre unter den Schulen, in denen Kinder wirklich Spaß am Lernen haben. Und sie alle haben eins gemeinsam: Den Gedanken, dass man Schülern die Freiheit geben muss, sie selbst sein zu.

Fit für die Zukunft an einer demokratischen Schule – kann das funktionieren?

Ihre Erkenntnisse hielten Thomas Möller und Christoph Schuhmann in dem Dokumentarfilm “Schools of Trust – Vertrauen ins Lernen” fest, der kürzlich auf DVD erschienen ist. Heute sprechen wir mit ihnen über das Potential von demokratischen Schulen:

scoyo: Demokratische Schulen sind für viele Eltern noch keine Alternative zur Regelschule. Warum sollte sich das Ihrer Meinung nach ändern?

Demokratische Schulen, obwohl das Konzept schon etwas älter ist, sind neu für viele Eltern. Es ist anders als das Schulsystem, das die meisten Menschen selbst erlebt haben. Von daher gibt es natürlich gewisse Vorurteile und Berührungsängste.

Gemeinsame Intention des Filmes ist es, dieses Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und die dahinterliegenden Lernprinzipien aufzuzeigen. Wir wollen damit bewirken, dass sich Menschen aktiv mit dem Thema Bildung auseinandersetzten, damit bei der Schulwahl des Kindes eine bewusste Entscheidung getroffen werden kann.

Mit unserem Film wollen wir vor allem Eltern ermutigen, sich diese Alternative einmal genauer anzuschauen und mit ihrem Kind ein Gespräch darüber zu führen, was am besten geeignet ist. Demokratische Schulen haben viel zu bieten.

scoyo: Wie kann man sich den Alltag an demokratischen Schulen vorstellen?

Die Tages- oder Wochenplanungen der Schüler können sehr unterschiedlich ausfallen. Es gibt flexible Ankommens- und Schlusszeiten und die Möglichkeit, Tage an außerschulischen Lernorten zu verbringen. Auch die freie Wahl der Projekte, Kurse oder sonstiger Aktivitäten führt dazu, dass jeder Schüler einen individuellen Tagesablauf hat.

Jedoch gibt es wesentliche Orientierungspunkte für alle Schüler, wie etwa die wöchentliche Schulversammlung, in der gemeinsam Entscheidungen getroffen werden, die die Schule anbelangen.

scoyo: Bei so viel Flexibilität stellen sich viele Eltern Fragen wie: „Nach welchem Lehrplan lernen die Kinder? Lernen sie überhaupt etwas? Brauchen die nicht ein bisschen Druck, um motiviert zu sein?“

Lerninhalte werden mit den Emotionen verbunden, mit denen sie gelernt wurden – das wissen wir aus der Neurowissenschaft.

Wenn nun Kinder Druck und Zwang beim Lernen erfahren, so wird das Gelernte immer mit auch mit Stress und der Angst vor einer Bestrafung verknüpft sein – was keine gute Grundlage für nachhaltiges Lernen ist.

An demokratischen Schulen wird davon ausgegangen, dass Kinder von Natur aus neugierig sind – um laufen und sprechen zu lernen, war ja auch kein Lernplan oder Druck notwendig.

Wenn wir diese Neugierde nicht abbremsen, sondern fördern, bleibt die natürliche Motivation, Neues zu entdecken und Dinge zu Lernen erhalten.

scoyo: Besteht nicht die Gefahr, dass Kinder bestimmte Fächer komplett links liegen lassen? Wie wird sichergestellt, dass Schüler an demokratischen Schulen alles lernen, was sie für ihre Zukunft brauchen?

Ja, das kann passieren. Gleiches geschieht aber auch an herkömmlichen Schulen. Denken Sie einmal an die vielen Inhalte, die man an Regelschulen nur für die Klausur lernt und danach wieder vergisst. Zudem kann die Auswahl der angebotenen Fächer in herkömmlichen Schulen durchaus als willkürlich bezeichnet werden. Wichtige Themengebiete wie Recht, Wirtschaft, Psychologie, Pädagogik und Verbraucherschutz sind dort in der Regel massiv unterrepräsentiert. An herkömmlichen Schulen wird ohne weiteres hingenommen, dass Schüler diese Themengebiete nicht lernen.

Wenn Schüler sich mit Themen beschäftigen, für die sie sich nicht interessieren, bedeutet das nicht, dass sie die entsprechenden Inhalte nachhaltig lernen. Viele Schüler lernen nur für die nächste Klausur und vergessen die Inhalte dann.

Letztendlich gibt es viele Wissensgebiete, mit denen Schüler herkömmlicher Schulen nicht in Berührung kommen. Da Schüler freier Schulen nicht zum Lernen gezwungen wurden, bleiben sie den entsprechenden Inhalten gegenüber aufgeschlossen, während viele Schüler herkömmlicher Schulen von den Inhalten, für die sie sich nicht interessiert haben und die sie dennoch lernen sollten, nichts mehr wissen wollen.

Wichtiger als der gelernte Inhalt ist es, wie man lernt (offen, begeistert, selbstbestimmt) – mit dieser Haltung kann man sich jederzeit die Dinge aneignen, die man lernen möchte.

scoyo: Viele Schüler könnten sich von zu viel Freiheit auch überfordert oder unter Druck gesetzt fühlen – oder nicht?

Der Frage liegt die Annahme zugrunde, dass Erwachsene einschätzen können, welche Lerninhalte zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Schüler wissenswert sind.

Wissenswert sind Lerninhalte, wenn sie an die Interessen und an die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen anknüpfen. Ob dies zutrifft, können nur die Schüler selbst beurteilen und entscheiden. Erwachsene können Kindern und Jugendlichen hinsichtlich möglicher Lerninhalte Anregungen geben und diese beraten. Kinder und Jugendliche sind nicht völlig sich selbst überlassen, sondern können sich auch an den anderen Schülern und Erwachsenen orientieren oder an bestehenden Kursen teilnehmen. Zudem stehen den Schülern auch Mentoren zur Verfügung, die ihre Lernprozesse individuell begleiten.

Die Basis für Lernprozesse ist die natürliche Fähigkeit, Anregungen selbstbestimmt anzunehmen, um sie zu modifizieren oder zu verwerfen. Bei der Selbstbestimmung von Lerninhalten kann also nicht von einer Überforderung die Rede sein, sondern vielmehr von einer natürlichen Voraussetzung für das Lernen.

scoyo: Können die Schüler an demokratischen Schulen auch ihr Abitur machen?

In Deutschland können nur staatlich anerkannte Schulen Schulabschlüsse vergeben. Die meisten freien Schulen haben den Status genehmigter Schulen und nicht die staatliche Anerkennung, die für die Vergabe von Schulabschlüssen notwendig ist.

Daher werden die Schüler auf eine externe Prüfung für den Mittleren Schulabschluss vorbereitet, die von Lehrern staatlicher Schulen abgenommen wird.

Viele Schüler freier Schulen erreichen bei den externen Abschlussprüfungen gute bis sehr gute Ergebnisse und wechseln anschließend auf reguläre Gymnasien, um dort ihr Abitur zu erlangen.

Dank neuerer Entwicklungen im E-Learning-Bereich, gibt es immer mehr Möglichkeiten, Schulabschlüsse und andere professionelle Zertifikate zu erlangen. Die neue Generation in der Geschäftswelt (Startup-Szene) achtet mehr auf die Kompetenz und Erfahrung und weniger auf Zertifikate.

scoyo: Gegner kritisieren, dass freie Schulen Kinder nicht auf die Arbeit in der freien Wirtschaft vorbereiten. Was halten Sie davon?

Nach meinen Erfahrungen ist eine freie Schule der freien Wirtschaft sehr viel ähnlicher, als es eine Regelschule ist. In der freien Wirtschaft, werden vor allem Menschen gebraucht, die selbständig arbeiten können, kreative Ideen mitbringen und soziale Fähigkeiten besitzen. All diese Eigenschaften werden in demokratischen Schulen täglich praktiziert.

scoyo: Für wen ist eine freie, demokratische Schule geeignet – und für welche Kinder eher nicht?

Grundsätzlich sind demokratische Schulen für jedes Kind geeignet, jedoch nicht für alle Eltern. Der Lernprozess kann nur wirklich gelingen, wenn die Eltern mit vollem Vertrauen hinter dem Kind stehen und die Prinzipien der Schule verinnerlicht haben.                                                                 

scoyo: Wenn das Prinzip hinter demokratischen und anderen alternativen Schulformen doch so erfolgsversprechend ist, warum sind die Methoden noch nicht im Regelschulsystem angekommen?

In einem staatlichen Schulapparat mit mehr als 700.000 angestellten Lehrkräften passiert so ein Wandel nicht von heute auf morgen. Trotzdem gibt es viele spannende Initiativen in staatlichen Schulen, die häufig von engagierten Lehrern angestoßen werden. Wir stehen noch am Anfang des Bildungswandels – in zehn Jahren wird das schon ganz anders aussehen.

scoyo: Was denken Sie, müsste sich ändern, damit sich wirklich vieles ändert?

Engagierte Lehrer in staatlichen Einrichtungen müssen tatkräftig unterstützt werden, neue Erkenntnisse aus der Lernforschung sollten vermehrt in die Lehrerbildung einfließen. Generell sollte ein breiteres Informationsangebot über alternative Schulformen zur Verfügung stehen und ein größerer Austausch zwischen den Lehrern und Schulen.

Das Interview führte Sina Wendt.

Die Macher hinter Schools of Trust:

Thomas und Christoph teilen den Willen, etwas in der Welt zu verändern.
© Schools of Trust

Christoph Schuhmann ist Gymnasiallehrer in Hamburg. Im Unterricht fragte er seine Schüler was sie mit “Lernen” verbinden. Häufige Antworten waren ‘Anstrengung’, ‘Langeweile’, ‘Pflicht’, ‘Stillsitzen’ und ‘Stress’. Christoph war erschüttert und fragte sich, wie es möglich sein kann, die natürliche Freude am Lernen, die bei Kleinkindern so schön zu beobachten ist, auch in der Schule aufrecht zu erhalten.

Thomas Möller, damals Student der Universität Hamburg, war mit einem ähnlichen Problem konfrontiert. Im Studium spürte er den Fokus auf Noten und Abschlüsse. Der Großteil der Studenten, lernte nicht aus Neugierde oder Interesse, sondern nur für die Prüfung. Danach wurde der Stoff schnell wieder vergessen.

Was genau sind demokratische Schulen?

Demokratische Schulen gehören zu den alternativen Schulformen, zu der auch Bildungseintrichtungen wie Waldorfschulen und Montessorischulen zählen. An demokratischen Schulen steht die Individualität der Schüler im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit – es gibt keine für alle Schülter geltenden Lehrpläne, keine Klassen, keine Noten, keine Vorgaben.

Demokratische Schulen versuchen mit drei Grundsätzen, Interesse und Begeisterung zu fördern:

  1. Die Schüler lernen wann, wo, was, wie und mit wem sie wollen. 
  2. Sie haben die Freiheit zu tun, was sie möchten, solange es die Freiheit der anderen nicht einschränkt. 
  3. Alle Belange des Schulalltags werden in der wöchentlichen Schulversammlung diskutiert und beschlossen. Schüler und Lehrer haben gleichberechtigt eine Stimme.

Demokratische Schulen legen also einen großen Wert auf selbstbestimmtes Lernen

Linktipps:

Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.