scoyo im Gespräch mit Dr. Gebauer zum Thema: Mobbing in der Schule
Katharina Looks
Sechs Prozent aller Schüler und Schülerinnen sind vom Mobbing betroffen
Mobbing unter Schülern wird zu einem immer größer werdenden Problem an deutschen Schulen. Was Eltern von Opfern tun können, schildert Dr. Karl Gebauer.
scoyo: Einer Studie der LBS zufolge leidet jeder dritte Schüler unter Mobbing. Hat Mobbing aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren zugenommen?
Dr. Gebauer: Ob es eine Zunahme gegeben hat, lässt sich schwer beurteilen, weil die Vergleichszahlen fehlen. Auch die aktuellen Zahlen über die Häufigkeit des Auftretens von Mobbing schwanken. Das hängt unter anderem davon ab, was man unter Mobbing versteht. Ich gehe davon aus, dass etwa sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler von Mobbing betroffen sind. Für diese Kinder ist es allerdings wichtig, dass sie von ihren Lehrerinnen und Lehrern Hilfe erfahren. Diese müssen Ausgrenzungen wahrnehmen und als Machtdemonstrationen begreifen, die sich Schüler oder Schülerinnen vor ihren Augen erlauben.
scoyo: Wo hört normales, ungestümes Kinderverhalten auf und fängt Mobbing an?
Dr. Gebauer: Mobbing ist ein aggressiver Akt und bedeutet, dass eine Schülerin oder ein Schüler über einen längeren Zeitraum belästigt, schikaniert oder ausgegrenzt wird. In der Regel geht die Aggression von einer Person aus. Ein Mobber wählt einen Schüler oder eine Schülerin als Opfer aus. Der Mobber – es kann auch eine Mobberin sein – schart andere um sich, die ihn bei seinen erniedrigenden Handlungen aktiv oder passiv unterstützen. Bei Mobbing gerät eine Schülerin / ein Schüler in eine absolut hilflose Situation. Dabei spielt das Gefühl der Angst eine große Rolle. Die Mitläufer spielen das grausame Spiel mit, weil sie Angst haben, sonst selbst Opfer zu werden. Das Opfer versteht in der Regel nicht, warum es beleidigt, gequält und gedemütigt wird.
scoyo: Welche Formen des Mobbings gibt es?
Dr. Gebauer: Mobbing kann sich andeuten, wenn z.B., Hefte und andere Materialien verschwinden, wenn Schulsachen beschädigt werden oder Gerüchte verbreitet werden. Es kommt vor, dass ein Schüler oder eine Schülerin von Gruppenarbeiten ausgeschlossen wird. In manchen Fällen darf sich ein Opfer nicht aktiv am Unterricht beteiligen. Demütigungen erfolgen mit Worten und Zeichnungen auf Zetteln, in Schülerzeitungen und in Briefen. Oft werden Opfer in demütigende Situationen gebracht und dabei mit dem Handy fotografiert. Anschließend werden die Szenen gemeinsam angeschaut, als E-Mail verschickt oder gar ins Internet gestellt. Unter Jugendlichen kommt es zu sexuellen Diffamierungen.
scoyo: Was macht Kinder zu Mobbing-Tätern?
Dr. Gebauer: Die Lebenssituation von Mobbern zeichnet sich durch große Unsicherheit aus. Oft haben spätere Täter während ihrer Kindheit nicht die Zuwendung und Beachtung erfahren, die zu einem gesunden Selbstwertgefühl führt. Manchmal sind sie selbst Opfer von Demütigungen und Gewalt gewesen. Das innere Muster eines Mobbers kann man als Versuch ansehen, eigene Ohnmachtserfahrungen zu überwinden, indem er gegenüber Schwächeren Macht ausübt. Es geht um den untauglichen Versuch, eigene Unsicherheit und Angst in ein Gefühl von Sicherheit zu verwandeln. Ein Kind, das über ein gutes Selbstwertgefühl verfügt, muss andere nicht demütigen.
scoyo: Aus Schamgefühl oder Einschüchterungen seitens der Peiniger verschweigen einige Kinder, dass Sie Opfer von Mobbing geworden sind. Woran erkenne ich als Elternteil, dass mein Kind unter Mobbing leidet?
Dr. Gebauer: Eltern und Lehrer sollten auf ganz alltägliche Dinge achten. Wenn zum Beispiel ein bisher guter Schüler in seinen Leistungen plötzlich stark nachlässt, wenn er morgens nicht aufstehen mag, keine Lust mehr auf die Schule hat, sich ständig unwohl fühlt, über Kopf- und / oder Bauchschmerzen klagt, können das Hinweise auf Mobbing sein.
scoyo: Welchen Rat geben Sie Eltern von Mobbing-Opfern?
Dr. Gebauer: Wenn Eltern davon erfahren, dass ihr Kind gemobbt wird, haben sie keine wichtigere Aufgabe als sich in den kommenden Wochen und Monaten auf die Seite ihres Kindes zu stellen und es bei allen weiteren Auseinandersetzungen zu unterstützen. Ein grober Fehler wäre es, dem Opfer eine Mitschuld zu geben. Dabei sollten sie nichts untenehmen, ohne vorher mit ihrem Kind darüber gesprochen zu haben. Sie sollten im Verwandten- und Freundeskreis nach Personen ihres Vertrauens Ausschau halten und diese in den Klärungsprozess mit einbeziehen. Oft machen sich Erwachsene nicht klar, dass ein Mobbingopfer – vor allem, wenn es lange geschwiegen hat – sein Selbstvertrauen völlig verloren hat. Es muss daher zunächst ein Netz von Beziehungen aufgebaut werden, in dem sich das Opfer sicher und geborgen fühlen kann. Eltern sollten möglichst schon im Vorfeld mit der Schule Kontakt aufnehmen und mit dafür sorgen, dass Mobbing professionell bearbeitet werden kann. Hilfreich ist es, wenn Lehrkräfte eine gute Beziehung zu ihren Schülern aufbauen und das Klären von Konflikten zu einem zentralen Anliegen ihrer Unterrichtsarbeit machen. So entsteht Vertrauen. Darin liegt der wirksamste Schutz gegenüber Mobbing. Wenn durch die Schule keine Unterstützung erfolgt, ist ein Schulwechsel dringend zu empfehlen.
Dr. Karl Gebauer
| © Dr. Karl Gebauer Dr. Karl Gebauer war 35 Jahre als Lehrer tätig, 25 davon als Rektor an der Leinebergschule in Göttingen. Seit vielen Jahren hält er Vorträge zu aktuellen Erziehungs- fragen und leitet Workshops für Eltern, Lehrer und Erzieherinnen. Karl Gebauer hat zahlreiche Aufsätze geschrieben und insgesamt 16 Bücher publiziert.
Schwerpunkte seiner intellektuellen Auseinadersetzung sind die Bedeutung der Emotionalität in Erziehungsprozessen, Gewalt in der Schule, konstruktiver Umgang mit Stresssituationen, Chancen der Teamarbeit, Sozialisationsprozesse in der Grundschule und Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter.
Weitere Informationen finden Sie auf seiner Homepage.
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