scoyo im Gespräch mit Silke Rupprecht: Stress in der Schule macht krank
Katharina Looks
Zustimmung in %, mindestens 2x pro Woche Stresssymptome
Silke Rupprecht, Wissenschaftlerin an der Universität Lüneburg, über Leistungsdruck und Mobbing in der Schule und ihren gesundheitlichen Folgen.
scoyo: Sie haben im Rahmen Ihrer Studie über Schulstress 4400 Schüler im Alter von 10 bis 21 Jahren befragt. Welchen Schluss ziehen Sie? Leiden viele Schüler unter Stress in der Schule?
Rupprecht: Wir haben die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der DAK-Initiative „Gemeinsam gesunde Schule entwickeln“ zu ihren psychosomatischen Beschwerden befragt. Bei diesen Beschwerden wird davon ausgegangen, dass psychische Faktoren Einfluss nehmen können auf somatische Beschwerden. Andauernder Stress in der Schule kann zu solchen Beschwerden führen, wobei auch andere Faktoren eine Rolle spielen können.
Wir haben die Schüler gefragt, wie häufig Stresssymptome wie bestimmte körperliche Schmerzen und psychische Befindlichkeiten in den letzten 6 Monaten erlebt wurden. Das können Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen ebenso sein wie Gereiztheit, Niedergeschlagenheit oder Probleme beim Einschlafen.
29,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler geben an, unter zwei oder mehr Beschwerden mehrmals pro Woche zu leiden.10 Prozent berichten sogar von täglich zwei oder mehr Beschwerden. Die häufigsten Beschwerden, die Schüler
mehrmals pro Woche oder täglich berichten, sind Gereiztheit, Einschlafprobleme und Kopfschmerzen.
scoyo: Welche Faktoren verursachen Stress bei Schülern?
Rupprecht : Stressoren scheinen den Schülern im Schulalltag nur allzu bekannt zu sein. In einer Studie von Lohaus & Ball (2006) wurde deutlich, dass die Schüler schulische Verpflichtungen wie Klassenarbeiten oder Hausarbeiten stressreich empfinden können. Aber auch Streit mit Freunden oder allzu durchgetaktete Nachmittagsangebote können die Schülerinnen und Schüler belasten.
Stresserleben ist jedoch höchst subjektiv: Bei fast keiner Anforderung von außen lässt sich vorhersagen, ob ein Schüler sich gestresst fühlen wird. Hier geht es natürlich auch um den persönlichen Umgang mit Herausforderungen, um Kompetenzen beim Lösen von Problemen und ganz allgemein um die Ressourcen und die bisherigen Erfahrungen der Schüler.
In unserer Studie haben die Schüler mit regelmäßigen Stresssymptomen oft auch Schwierigkeiten, Probleme aktiv zu lösen oder mit Prüfungssituationen gut umzugehen. Sie haben ein niedrigeres Selbstwertgefühl. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Stressbelastung hier nicht isoliert zu betrachten ist, sondern diese Schülerinnen und Schüler allgemein mit ungünstigeren Startbedingungen den Lernalltag bestreiten.
scoyo: Woran können Eltern erkennen, dass ihre Kinder unter Schulstress leiden?
Rupprecht: Hohe Anforderungen sind in unserer Gesellschaft normal und für die persönliche Entwicklung auch wünschenswert. Treten hierbei jedoch Beschwerden oder negative Gefühle auf, sollten die Eltern das Gespräch mit dem Kind suchen.
Wenn Kinder von negativen Gefühlen in der Schule berichten, so können unterschiedliche Belastungen die Quelle dafür sein, etwa Über- oder Unterforderung, Schwierigkeiten mit Lehrkräften oder Mitschülern. Treten Beschwerden über einen längeren Zeitraum auf und fühlt sich das Kind dadurch in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, so ist das ein deutliches Warnsignal.
scoyo: Wie können Eltern ihre Kinder dabei unterstützten, Schulstress abzubauen und mit Stress in der Schule besser umzugehen?
Rupprecht: Vor allem die sogenannte Lebenskompetenz ist ein wichtiger Puffer gegen Stress. Unter Lebenskompetenz versteht man einen Mix aus Einstellungen und Fähigkeiten, z.B. ein gesundes Selbstwertgefühl, das Erkennen eigener und fremder Gefühle, die soziale Kompetenz im Umgang mit Gleichaltrigen und die Fähigkeit, selbst Entscheidungen treffen zu können und Verantwortung für kleine Bereiche zu übernehmen. Beim Aufbau der Lebenskompetenz sind die Eltern gefragt.
Wichtig ist es, das Kind schon früh dabei zu unterstützen, eigenständig Probleme zu lösen und Aufgaben zu meistern. Kinder, denen etwas zugetraut wird, trauen sich im Umkehrschluss auch selbst mehr zu. Das sollten zunächst ganz kleine Aufgaben sein, wie z. B. die Zuständigkeit für eine Zimmerpflanze. Bei der Aufgabenerfüllung können die Anforderungen langsam gesteigert werden.
Dafür benötigen Kinder eine Einordnung des Erreichten von Erwachsenen. Dabei sollte das Verhältnis zwischen Lob und Tadel nach der Familientherapeutin Virginia Satir bei vier zu eins liegen. Globales Loben ist für Kinder weniger einordbar (z. B.: Du bist ein kleiner Rembrandt!) als ein spezifisches Lob: Die Farbe in deinem Bild gefällt mir sehr gut. Auch kleine Schritte und Verbesserungen sollten bemerkt und gewürdigt werden.
Familiäre Rituale sind von großer Bedeutung für das Stresserleben von Kindern. Die Gute-Nacht-Geschichte beugt Schlafstörungen vor, beim gemeinsamen Abendessen tauscht sich die Familie über die Geschehnisse des Tages aus.
Und schließlich: Kinder schauen sich viele Verhaltensweisen in ihrer Familie ab. Eltern leben ihren Kindern den Umgang mit Stress vor. Hier können Eltern reflektieren, inwieweit der eigene Umgang mit Stress ein günstiges Modell darstellt. Eine einfache Methode ist, in Stresssituationen die eigenen Gedanken zu benennen und die Situation so ruhig wie möglich anzugehen.
Dipl.-Päd. Silke Rupprecht
Dipl.-Päd. Silke Rupprecht Silke Rupprecht ist Projektmanagerin der DAK-Initiative ‘Gemeinsam gesunde Schule entwickeln’ am Zentrum für angewandte Gesundheitswissenschaften (ZAG) der Leuphana Universität Lüneburg.
Ihr Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Gesundheitsförderung durch Schulentwicklung, systemische Organisationsberatung an Schulen, Schulleitungsberatung sowie Stressbewältigungsansätze in Schulen und Lehrerbildung.
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