Digitale Potenz: Warum die uneingeschränkte Digitalisierung ein Segen für unsere Kinder ist! – Eine Polemik
Katharina Looks
Digitale Bildung ist ein Thema, an dem zur Zeit wirklich keiner vorbei kommt.
Sie verfolgen die Debatte um digitale Bildung verzweifelt, unentschlossen, besorgt? Nach diesen 6 Argumenten von scoyo-Kolumnist Christian Hanne werden auch die größten Pessimisten laut fordern: “Digitale Macht den Kindern!”
Als Eltern haben Sie sich sicherlich schon einmal Gedanken über das Medienverhalten Ihrer Kinder gemacht. (Wer dies verneint, werfe das erste Smartphone!) Haben täglich mehr als acht Stunden am Handy einen schlechten Einfluss auf schulische Leistungen? Ist „Call of Duty“ ein angemessenes Spiel für einen Vierjährigen? Hat „Bibis Beauty Palace“ eine abschreckende Wirkung und motiviert zum Lernen?
In die Ohren derart verunsicherter Eltern posaunt der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer seit Jahren seine Thesen vom schädlichen Einfluss der bösen digitalen Medien. Mit missionarischem Eifer und unter sarrazinhaft selektiver Verwendung von Statistiken führt Herr Spitzer mit populärwissenschaftlichen Büchern wie „Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ einen regelrechten Kreuzzug gegen Smartphones, Tablets und WLAN. Die sind für ihn schädlicher als Asbest und Nikotin.
Erst kürzlich warnte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk mal wieder vor der bedenklichen Wirkung der Digitalisierung:
„Wir ziehen uns eine Generation von Behinderten heran, ich sage es mal drastisch. (…) Wenn sie nur wischen als Kindergartenkind, endet ihre Karriere als Putzfachkraft. Das sollte man einfach nicht machen.“
Ein Statement so behindertenfeindlich wie sozial diskriminierend, das einem den Puls in die Höhe treibt und Schaumbildung vor dem Mund verursacht. Glücklicherweise gibt es viele Journalisten, Wissenschaftler und Pädagogen, die sich inhaltlich und argumentativ mit den Spitzerschen Ansichten auseinandersetzen, so dass ich das nicht machen muss. Ich könnte es auch gar nicht. Bei mir löst die undifferenzierte Vehemenz, mit der Herr Spitzer die Digitalisierung verteufelt, den spätpubertären Reflex aus, genau das Gegenteil zu argumentieren. (Eine postadoleszente Verhaltensstörung, die davon herrührt, dass ich als Kind auf dem C64 „Donkey Kong“ gespielt habe.)
„Unsere Kinder brauchen uneingeschränkten Zugang zu Tablets, Smartphones & Co., denn nur so werden sie klug, fit und reich!“
Herr Spitzer ist ein großer Gegner des Googelns, mindestens, wenn es Kinder und Jugendliche tun. Die Recherche im Internet führe zu oberflächlichem aber zu keinem richtigen Wissen. Bücher seien dagegen zu bevorzugen, denn da könne man sich halbwegs sicher sein, dass das stimmt, was drin steht. Eine Argumentation, die auf sehr tönernen Füßen steht. Schließlich werden die kruden, kulturpessimistischen Ansichten von Herrn Spitzer auch nicht schlüssiger, nur weil es sie in Buchform gibt. Somit liefert er gewissermaßen selbst den Gegenbeweis zu seiner eigenen Aussage.
Glücklicherweise müssen wir auch gar keine Angst haben, unsere Kinder googeln zu lassen. In einem Feldversuch, der für 42-jährige verheiratete Sozialwissenschaftler, die als Kommunikationsberater arbeiten und mit Frau und zwei Kindern in Berlin-Moabit leben, als repräsentativ gelten kann, habe ich zweifelsfrei nachgewiesen, dass das Internet sehr wohl förderlich für die Wissensvermittlung ist. Durch intensives Googeln habe ich zum Beispiel sehr viele Artikel und Aufsätze gefunden, die die Argumentation und Methodik von Herrn Spitzer kritisch hinterfragen. Dies hat mir aufschlussreiche Erkenntnisgewinne beschert, die ohne Google nicht so einfach möglich gewesen wären. Google kann also keinesfalls ein Einser-Abiturs gefährden!
Wenn Sie Herrn Spitzer glauben möchten – und ich hoffe, Sie möchten das nicht –, führt die Nutzung sozialer Medien zu sozialem Abstieg und macht unsere Kinder zu Trotteln, die prekären Beschäftigungsverhältnissen nachgehen müssen. Das ist natürlich grober Unfug. Genau das Gegenteil ist der Fall. Digitale Medien sind quasi Garant für sozialen Aufstieg und unvorstellbaren Reichtum. Werfen Sie einmal einen Blick in die Top-Ten der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt. Fünf von ihnen haben ihr Dagobert-Duck-haftes Milliardenvermögen mit Online-Handel, Software-Produkten, sozialen Netzwerken oder Telekommunikation verdient.
Wir sollten unsere Kinder also nicht von den digitalen Medien fernhalten, sondern sie schon ab dem Säuglingsalter daran heranführen. Indem wir unsere Kinder zu Digital Natives erziehen, steigen die Chancen, dass sie Milliardäre werden. Und zwar – laut Forbes-Top-10 – auf 50 Prozent. Sie finden diese Wahrscheinlichkeitsrechnung unlogisch? Dann haben Sie sich einfach noch nicht schlau genug gegoogelt.
Herr Spitzer beklagt auch immer wieder, die frühzeitige Nutzung von Smartphones und Tablets sei ursächlich für motorische und sensorische Unzulänglichkeiten von Kindern, so dass sie in der Schule nicht einmal einen „Griffel halten“ können. Gerne möchte ich darauf hinweisen, dass in Schulen des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit Griffeln auf Schiefertafeln geritzt wird. (Das hätte Herr Spitzer googeln können.) Somit müssen wir uns auch keine Sorgen machen, wenn unsere Kinder nicht mit einem Faustkeil zurechtkommen, weil sie zu viel am Touchscreen gewischt haben.
Eine zukunftsorientierte Erziehung achtet darauf, dass Kinder nicht nur viel mit dem Tablet spielen, sondern schon im Kindergartenalter täglich mehrere Stunden an der Konsole zocken. Die regelmäßige Benutzung des Controllers mit seinen unzähligen Tasten, Knöpfen und Hebeln ist eine optimale Schulung ihrer Fingerfertigkeit. Bereits nach kurzer Zeit können Kinder virtuos mit dem Controller umgehen und zaubern bei „FIFA 18“ die phantastischsten Moves auf den Bildschirm. Und zwar schneller als Herr Spitzer „Kindergarten-Fingerspiele“ sagen kann.
Womit ich eine weitere panikheischende These widerlegen möchte, die nicht nur Herr Spitzer immer mal wieder anführt: die Digitalisierung befördere Bewegungsmangel und Übergewicht. Durch die digitalen Medien zögen wir uns sozusagen eine Generation von Sportmuffeln heran.
Eine Angst, die wir als Eltern sehr gut nachvollziehen können. Uns alle treibt doch die Sorge um, dass unsere übergewichtigen Kinder, die ununterbrochen Chips fressend an der Konsole zocken, nicht in der Lage sind, einen Ball zu fangen, und dass ihre einzige Bewegungsaktivität darin besteht, ab und an aufs Klo zu gehen. Droht ihnen dadurch das unschöne Schicksal einer sportlichen Niete, die im Sportunterricht immer als Letzte gewählt wird? Eine soziale Demütigung, die wir unseren Kindern selbstverständlich ersparen wollen.
Trotzdem müssen wir unsere Kinder nicht aktionistisch im Turn-, Schwimm- und Leichtathletik-Verein anmelden. Die Zukunft des Sports ist nämlich der eSport! Für eSport-Turniere werden zehntausende von Tickets verkauft, erfolgreiche eSportler verdienen mittlere sechsstellige Jahresgehälter, Fußballclubs wie Schalke 04, Manchester City und Paris Saint-Germain haben eigene eSport-Abteilungen und es gibt ernsthafte Bestrebungen, dass eSport olympisch wird. Wir müssen uns also ein Beispiel an den Eiskunstlauf-Müttern vom DDR-Schlage nehmen und als Playstation-Eltern unsere pummeligen Kinder an die Konsole treiben. Es wird wahrscheinlich ihre einzige Möglichkeit sein, sportlichen Ruhm zu erlangen. Und wir müssen dann auch nicht mehr verschämt gegenüber Freunden und Verwandten eingestehen, dass unsere Kinder computerspielsüchtig sind, sondern können voller Stolz sagen: „Mein Kind ist e-Leistungssportler und trainiert vier Stunden täglich!“
Für Herrn Spitzer (und nicht nur für ihn) ist es außerdem bedenklich, dass Kinder und Jugendliche ihre sämtlichen Sozialkontakte über den Bildschirm erledigen. Die neuen Medien würden reale Beziehungen verhindern.
Auch dieses Argument ist Quatsch. Im Gegenteil: Smartphones sind notwendig, um die Kommunikation mit unseren Kindern aufrechtzuerhalten. Als Eltern stehen wir alle vor dem Problem, dass unsere Kinder ab einem bestimmten Alter nur noch in Ein-Wort-Sätzen mit uns reden. („Wie war es in der Schule?“ „Gut“ „Gab es etwas Besonderes?“ „Nein“ „Was gab es zum Mittagessen?“ „Weißnich.“). Hier bieten Smartphones die letzte Möglichkeit, mit unseren Kindern ins Gespräch zu kommen. Dazu müssen wir lediglich unseren Kindern ein Smartphone schenken und ihnen dann nach ein paar Wochen sagen, sie sollen gefälligst ihren Medienkonsum einschränken, sonst würde der WLAN-Zugang gesperrt. Zugegebenermaßen entstehen dadurch keine schönen Gespräche, sondern von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägte Unterredungen, die in einer sozial abnormen Lautstärke geführt werden. Aber so pflegen wir immerhin sehr reale Beziehungen mit unseren Kindern. Und das ist es ja, was sich Herr Spitzer wünscht.
Sicherlich teilen Sie inzwischen meine bedingungslose Befürwortung der Digitalisierung aufgrund ihrer nicht von der Hand zu weisenden segensreichen Wirkungen. Dennoch möchte ich nicht verhehlen, dass es auch Schattenseiten gibt. Das Internet ist voll mit Inhalten und Personen, von denen wir unsere Kinder fernhalten möchten. Verschwörungstheoretiker fabulieren über Chemtrails, Reichsbürger hetzen gegen den Staat, AfDler verbreiten Lügen über Flüchtlinge, US-Präsidenten schreiben Fake-Tweets und brutale Porno-Videos sind nur einen Klick entfernt.
Aber genau deswegen müssen wir unsere Kinder ins Internet schicken. Schließlich wollen wir die digitale Welt nicht den Kriminellen, den Rassisten, den Perversen, den Psychopathen und den Lügnern überlassen. Lassen Sie uns unsere Kinder zu mitfühlenden, reflektierten und weltoffenen Menschen erziehen, dann werden sie das Internet zu einem besseren Ort machen!
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Nach Fertigstellung des Beitrags habe ich mich schlau gegoogelt und die Erkenntnis gewonnen, dass meine einzigartige Begriffsschöpfung „Digitale Potenz“ nicht ganz so einzigartig ist, sondern bereits 2012 von Gunter Dueck auf seinem „WILD DUECK BLOG“ verwendet wurde und zwar in einem „Überspitzer gegen den Über-Spitzer“.
Weitere Kolumnen von Christian Hanne hier im ELTERN! Magazin:
Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September ist sein Buch „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“ im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.
Im Netz
Blog: www.familienbetrieb.info
Twitter: https://twitter.com/Betriebsfamilie
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